DIETER WELLERSHOFF
Ich wachte auf im Bett sitzend
weil jemand „frisches Heu“ gesagt hatte
zweimal deutlich
„frisches Heu frisches Heu“.
Er zeigte mir dabei
seine leeren Hände.
Und da war noch jemand
ein kleiner alter Mann
der einen Karren voller Abfälle
hinter sich herzog
und er blieb damit an einem Pfahl hängen
einem ich will mal sagen Verkehrszeichen.
Das ist einer deiner Sexträume
sagte meine Frau.
Aber ich glaube es war etwas anderes
es war ein ganz verstiegenes Gefühl
zum zweiten Mal leben zu wollen
oder eine andere Art
an den Tod zu denken.
um 1990
aus: Dieter Wellershoff: Zwischenreich. Gedichte. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008
Seit seinem Romandebüt Ein schöner Tag (1966) arbeitet Dieter Wellershoff (geb. 1925) an existenzphilosophischen Romanen und Erzählungen, die in nihilistischer Unbarmherzigkeit auf das Verschwinden ihrer Helden zusteuern. Dabei agiert der Autor meist als akkurater Verhängnisforscher, der seine Figuren in existenzielle Zerreißproben führt, in denen ihr Leben aus den Fugen gerät.
In seinen raren Versuchen als Lyriker entfaltet Wellershoff jene unerwarteten Augenblicke der Verwunderung, in denen der jeweilige Protagonist binnen kürzester Zeit den Boden unter den Firnen verliert und sein geordnetes Alltagsleben zerfällt. Anlass kann ein Traumbild sein – wie im vorliegenden Gedicht aus dem Jahr 1971 – eine Stimme, die Beobachtung eines unscheinbaren Gegenstands oder die plötzliche Vision des eigenen Todes.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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