FRIEDRICH RÜCKERT
Die Liebe sprach
Die Liebe sprach: in der Geliebten Blicke
Mußt du den Himmel suchen, nicht die Erde,
Daß sich die bessre Kraft daran erquicke
Und dir das Sternbild nicht zum Irrlicht werde.
Die Liebe sprach: in der Geliebten Auge
Mußt du das Licht dir suchen, nicht das Feuer,
Daß dirs zur Lamp’ in dunkler Klause tauge,
Nicht dir verzehre deines Lebens Scheuer.
Die Liebe sprach: in der Geliebten Wonne
Mußt du die Flügel suchen, nicht die Fesseln,
Daß sie dich aufwärts tragen zu der Sonne,
Nicht niederziehn zu Rosen und zu Nesseln.
1821
Im reichen poetischen Werk des polyglotten Universalgelehrten, Dichters und Übersetzers Friedrich Rückert (1788–1866) findet sich auch ein üppig bestückter Zyklus mit Liebesgedichten, den der Dichter 1821 seiner Braut Luise Wiethaus-Fischer widmete. In diesem „Liebesfrühling“ ragt ein gefühls-ökonomisch sehr auf Pragmatik bedachtes Gedicht hervor.
Es sieht zunächst nach einem bedächtig ausbalanciertem Begehren aus, was Rückert der Liebe selbst in den Mund legt. Das „Feuer“ in der „Geliebten Auge“ soll gemieden werden, stattdessen soll das „Licht“ einer rationalen Organisation des Alltagslebens dienen. Um den poetischen Ruhepunkt der „Lamp in dunkler Klause“ im Zentrum des Gedichts werden aber die utopischen, beflügelnden Wirkkräfte der Liebe beschworen. Eine Anleitung zum Glücklichsein aus dem Geiste der Vernunft.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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