GEORG HEYM
Die Bienen fallen in den dünnen Röcken…
Die Bienen fallen in den dünnen Röcken
Im Raufreif tot aus den verblaßten Lüften
Die nicht mehr kehren rückwärts zu den Stöcken.
Die Blumen hängen auf den braunen Stielen
An einem Morgen plötzlich leer von Düften,
Die bald im Staub der rauhen Winde sielen.
Die langen Kähne, die das Jahr verschlafen,
Mit schlaffem Wimpel hängend in der Schwäche,
Sind eingebracht im winterlichen Hafen.
Die Menschen aber, die vergessen werden,
Hat Winter weit zerstreut in kahler Fläche
Und bläst sie flüchtig über dunkle Erden.
um 1910
Der Dichter Georg Heym, der 1912 im Alter von 24 Jahren beim Schlittschuhlaufen auf der Havel starb, ist einer der wichtigsten Exponenten der expressionistischen Moderne. Es sind dabei oft Landschaften, die Heym in harten Fügungen und morbiden Metaphern zusammenstellt. Sie malen das vorherrschende Thema Verfall atmosphärisch aus.
Heyms Jahreszeitengedicht vollzieht im Jambus eine Bewegung, die von Spätsommer zu Winter reicht. Emblematisch wird der Rückzug der Natur zunächst an Bienen und Pflanzenwelt skizziert, um in den letzten beiden Strophen von der Naturbetrachtung in einer Art allegorischer Überhöhung des Verfalls, als Conditio allen Lebens, zu gipfeln. Eine intertextuelle Verwandtschaft besteht vermutlich zu den einige Jahre früher entstandenen Herbstgedichten Rilkes, aus denen Heym einige Stellen direkt anzuverwandeln scheint: „Die Blätter fallen, fallen wie von weit“ (Rilke. „Herbst“).
Norbert Lange (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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