GERHARD RÜHM
liebeslied für lili
bei licht liest lili
auf lilienweissem linnen liegend
rechts und links listige linien liefernd
mit linden lidern und lindernden lippen
die litaneienliste des liebesliedes:
liebling, liebling…
1987
aus: Gerhard Rühm: Geschlechterdings. chansons, romanzon, gedichte. Rowohlt Verlag, Reinbek 1990
Die Gedichte des 1930 in Wien geborenen Gerhard Rühm nutzen alle Möglichkeiten des Sprachspiels in der Poesie. Seit seiner Zeit als Mitbegründer der Wiener Gruppe hat er diese Möglichkeiten der Sprache als Material in die verschiedensten Verästelungen der Spracharbeit verfolgt – als Dichter, Schriftsteller, Komponist und sogar als Bildender Künstler Visueller Poesie. Dabei greift er immer wieder auf die große Tradition der literarischen Avantgarden zurück.
Das Spiel mit dem Konsonanten „l“ und den Vokalen „i, e, a“ führt hier zu einem Liebesgedicht, das an Anfang und Ende offen ist, sich sozusagen im Lauf durch die Buchstaben des Alphabets ewig fortführen ließe. Als Fragment eines solchen ewigen Alphabets durchläuft das Gedicht die Felder „Liebe“ und „Lili“, um ein kleines Schäferidyll zu zeigen: „die litaneiliste des liebesliedes“.
Norbert Lange (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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