KONRAD BAYER
die oberfläche der vögel
sagen sie mir doch
muß man über flüsse setzen?
zu welcher stunde?
wo?
sagen sie mir doch
ist da
das schlachthaus?
die gasanstalt?
sehen sie doch
dort oben
hoch oben
aufgehoben
aufgetrieben
vom lichtdurchlässigen
luftstrom
schweben
die vögel
weder kalt noch warm
weder gesehen noch gehört
weder das eine noch das andere
schweben
die vögel
sehen sie doch
oben
dort
in der höhe…
1957
aus: Konrad Bayer: Sämtliche Werke, Bd. 1. Klett-Cotta, Stuttgart 1985
Der avantgardistische Thinktank der österreichischen Literatur in den 1960er Jahren, die legendäre Wiener Gruppe, folgte der Idee, die Sprache nicht als ein Mittel zur ornamentalen künstlerischen Darstellung, sondern als ein Instrument zur Untersuchung von Denkvorgängen und zur Aufhebung von Wahrnehmungsschranken einzusetzen. Am weitesten vorgewagt hat sich hierbei der Dichter und Unruhegeist Konrad Bayer (1932–1964).
Die Fragen, die hier das lyrische Subjekt des 1957 entstandenen Gedichts stellt, führen sämtlich ins Leere. Die Paraodoxien des Gedichts beginnen schon mit seinem Titel, der irritierenderweise von einer „Oberfläche“ die Vögel spricht. Der Text selbst konzentriert sich zunächst auf eine horizontale („flüsse“), danach eine vertikale Perspektive („dort oben“, „vögel“): Die gewohnten Wahrnehmungsweisen werden ausgehebelt, aber eine plausible Antwort auf die In-Fragestellungen wird verweigert.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
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