KURT DRAWERT
Blumenverkäufer
Ach, diese traurigen Blumenverkäufer,
in den Lokalen, am Abend, zur Nacht.
Die Musikbox leiert, am Tresen ein Säufer,
die Schaben im offenen Stromkabelschacht.
Als wenn sie die Liebe der Liebenden riefe,
und engelhaft leicht in der Drehtür wie Wind,
so bringen sie Blumen für sehr lange Briefe,
die heimlich erhoffte Erklärungen sind.
Bald stehen sie hilflos und jedem im Wege,
den Blick auf die welkende Ware gesenkt,
auf daß ihnen einer die Münze noch gebe –
und schon hat die Rose ihre Knospe verschenkt.
um 2000
aus: Kurt Drawert: Frühjahrskollektion. Suhrkamp Verlag. Frankfurt a.M. 2002
Eine Genreszene in der nächtlichen Großstadt: Die Blumenverkäufer, die jeden Lokal-Gast zu einem amourösen Geschenk animieren möchten, figurieren als tragische Helden eines Gedichts. Der Lyriker Kurt Drawert (geb. 1956), der sich auf eine diskrete poetische Lakonie verpflichtet hat, die „jede transzendierende Geste und Weltumschlungenheit“ vermeidet, zeichnet in klassischen Kreuzreimen ein Porträt der frustrierten Liebesboten – die ebenso ihr Ziel verfehlen wie viele der Liebesgrüße in Blumenform, die sie zum Verkauf anbieten.
Im Kontext des Drawertschen Werks, das viel von der nüchternen Beiläufigkeit seines Vorbilds und Freunds Karl Krolow (1915–1999) gelernt hat, ist diese kleine Reimübung die absolute Ausnahme. Seiner frühen Affinität zum kühlen, prosaischen literarischen Anfängen treu geblieben. Poetisch verbindlich ist für ihn die äußerste Zurückhaltung geblieben – der Rückzug auf die Wahrnehmungsempfindlichkeit des Ich, die kühle Distanz gegenüber der Sprach- und Weltdeutungsmacht jedweden Kollektivs.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
Schreibe einen Kommentar