RALF ROTHMANN
Nach dem Gelage
Wo sind wieder meine Socken.
Und wer ist diese Frau.
Poeten mit Pappnasen saßen beim Bier,
alle wie Tinte, blaß und blau.
Wer legt sich schlafen in welchem Verlag?
Quasselte Bücher und hat nichts gesagt?
Sprache, die aus dem Zapfhahn schäumt.
Der rote Faden war nur geträumt.
Wer wäscht mir die Hände nach so einer Nacht,
ich muß noch Socken signieren. Wer verlegt
meine Leber, ihr schmerzhaftes Grau.
Und wer ist diese schöne Frau.
um 2000
aus: Ralf Rothmann: Gebet in Ruinen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2002
Wo auch immer mehr als drei Personen im Namen der Poesie versammelt sind, so spottete einst Hans Magnus Enzensberger (Jg. 1929), kommt es zu einem seltsamen Schwanken zwischen Größenwahn und Verkanntsein, Entrücktheit und Geltungsdrang. Oder es kommt zum großen alkoholischen Exzess beim Festgelage. Das lyrische Ich des 1955 geborenen Schriftstellers Ralf Rothmann bilanziert mit leicht humoristischer Schlagseite die Ereignisse nach einer solchen launigen Poeten-Ausschweifung.
Solche lässig hingeworfenen Genreszenen aus dem Dichterleben sind nicht typisch für die Lyrik Rothmanns. Als Poet erprobt er die unterschiedlichsten Formen und Sprechhaltungen; er liebt das Paradoxon, das die traditionelle Sprachgeste durch eine Tatsache negiert oder durch eine gegenteilige Behauptung durchstreicht. Wie der Titel seines 2002 publizierten Bands Gebet in Ruinen andeutet, gibt es auch eine religiöse Prägung des Autors. Gegen alle Ironisierungen und sarkastischen Brechungen behauptet sich in seinen Gedichten eine große Sehnsucht nach Transzendenz.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007
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