Renato P. Arlatis Gedicht „So lange liegt der Schatten…“

RENATO P. ARLATI

So lange liegt der Schatten
zwischen zwei Gesichtern,
die sich sehen,
bis das eine aufstrahlt
und sagt: leuchte du.

(Gekommen bin ich aus dem Dunkel)

1980er Jahre

aus: Renato P. Arlati: An E. Alle Gedichte. Urs Engeler Editor, Basel 2005

 

Konnotation

Der 1936 als Sohn italienischer Eltern in Zürich geborene Schweizer Autor Renato Pasquale Arlati (1936–2005) hatte als Grafiker und Fachlehrer für Zeichnen gearbeitet, bevor er sich aufs Schreiben verlegte. Bereits in seinen ersten Erzählungen, erschienen 1977, hatte man einen Nachfahren Becketts und Kafkas erkennen wollen. Die tiefe Beunruhigung von Arlatis Helden, die bei ihrem Versuch der Selbstvergewisserung immer wieder scheitern, überträgt sich auf den Leser. Das Phantasmatische der eigenen Erscheinung, das Flüchtige und Ungreifbare der Ich-Identität treibt diese Gestalten immer tiefer ins Unglück.
Ein Zentralmotiv Arlatis war seit je die irritierte Selbst-Wahrnehmung. Da ist der blinde Spiegel, der kein Ebenbild des Schauenden zurückwirft, nur die Frage nach der Wirklichkeit des Ich. Oder der Nachthimmel, an dem keine Sterne zu finden sind, sondern nur „die Gestalt / die das Ungeheure ist“. Das schattenhafte Ich, eine „unerlöste Erscheinung“, kommt dabei stets „aus dem Dunkel“. Aber es gibt Momente, da wird der dunkle Abgrund blitzartig aufgehellt. Wie in diesem Gedicht aus den 1980er Jahren.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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