ROBERT GERNHARDT
Alles über den Künstler
Der Künstler geht auf dünnem Eis.
Erschafft er Kunst? Baut er nur Scheiß?
Der Künstler läuft auf dunkler Bahn.
Trägt sie zu Ruhm? Führt sie zum Wahn?
Der Künstler fällt in freiem Fall.
Als Stein ins Nichts? Als Stern ins All?
1997
aus: Robert Gernhardt: Lichte Gedichte. Haffmans Verlag, Zürich 1997
Ein Selbstbildnis des Dichters als höchst verunsichertes Subjekt: Soviel barocke Abgründigkeit hätte man bei Robert Gernhardt (1937–2006), dem Großmeister der Humoreske und der Komik, nicht erwartet. Die Tonlagen und Motive, die Gernhardt hier zusammen- und gegeneinanderstellt, markieren die zwei gegensätzlichen Pole des dichterischen Sprechens: Die große Frage nach der Erhabenheit der Kunst wird mit sehr prosaischen, schnoddrig vorgetragenen Einsichten konfrontiert.
Der Lebensweg des Künstlers verläuft hier von Strophe zu Strophe auf einer immer steileren Bahn des Ausgesetztseins. Zuletzt ist es nur noch ein Fall ins Bodenlose. Und auch wenn die Aussichten auf einen guten Ausgang des Dichterlebens in Frageform gefasst und nicht rundweg verneint werden, so ist hier doch eine klare Tendenz zum existenziellen Vabanquespiel erkennbar. Eine Erfahrung, die im literarischen Barock „Vanitas“ hieß: die Begegnung mit der Nichtigkeit des eigenen Daseins.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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