Steffen Jacobs’ Gedicht „Jardin Nouveau“

STEFFEN JACOBS

Jardin Nouveau

Kein Elefant im Karussell,
kein Knabe träumt sich hoch und schnell.

Dort, wo sich, heißt es, Wesen drehten,
kreisen jetzt Mobilraketen.

Drehen durch und rasseln Ketten,
drohen, schießen, schließen Wetten:

Lauter laute kleine Landser.
Und dann und wann ein weißer Panzer.

1996

aus: Steffen Jacobs: Der Alltag des Abenteurers. S. Fischer Verlag. Frankfurt a.M. 1996

 

Konnotation

In Rainer Maria Rilkes (1875–1926) berühmtem Gedicht „Das Karussell“ (aus den Neuen Gedichten von 1907) befindet sich die mythische Tier-Welt des Karussells mitsamt den darauf fahrenden Kindern in einer glücklich-beschwingten Drehbewegung. Das „atemlose blinde Spiel“ dieser Kreisbewegung ist an jedem seiner Punkte im harmonischen Einklang mit sich selbst. In einer sarkastischen Kontraktur auf Rilkes Gedicht hält der Dichter Steffen Jacobs (geb. 1968) die Veränderungen im Jardin du Luxembourg in Paris fest.
Die kunterbunte Märchen- und Tier-Welt des alten Karussells hat ihre Unschuld verloren. Es hat eine Militarisierung des Spiele-Paradieses stattgefunden, eine Omnipräsenz der Spielzeug-Tötungsmaschinen. Den denkbar schärfsten Gegensatz zum Bild des „weißen Elefanten“, der bei Rilke eine zentrale Stellung einnimmt, markieren die beiden letzten Verse des Gedichts – mit grimmigem Witz wird das Ergebnis der neuen militaristischen Sozialisation markiert.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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