2007-02-10

Im Traum soll ich einen Festvortrag für einen Autor halten, den ich überhaupt nicht kenne und der dort drüben in einer Fensternische dösend in seinem Rollstuhl sitzt. Es könnte Edzard Schaper sein; oder ist es Hans Erich Nossack? Die Veranstaltung findet in einem grossen historischen Theatersaal statt, ein Fernsehteam ist da, es gibt ein Orchester, aber nur spärliches Publikum. Zahlreiche Reden werden gehalten, mein Auftritt verschiebt sich laufend; alles, was ich sagen wollte oder sagen sollte, ist bereits gesagt, ausserdem habe ich mein Skript verlegt, und überhaupt ist die Sache mit dem Festvortrag ein Missverständnis. Ich werde der Tochter des Geehrten vorgestellt, «und das ist Božena Vařečková», eine alterslos schöne Frau, die ich, wie man mir vorwurfsvoll zu verstehn gibt, «vor Zeiten besser gekannt haben» muss. Die Frau übernimmt ohne weitere Umstände die Leitung der verunglückten Feier, die ja eigentlich schon zu Ende ist, und sie bittet mich in zugleich strengem und vertraulichem Ton, ich solle mich doch endlich um «Oper» und «Tumult» kümmern. Der Rollstuhl mit dem lose angegurteten, zu einem greisenhaften Zwerg geschrumpelten Jubilar liegt umgekippt auf dem spiegelglatten Parkett.

 

aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern

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