THEODOR FONTANE
Ein neues Buch, ein neues Jahr
Ein neues Buch, ein neues Jahr
Was werden die Tage bringen?!
Wird’s werden, wie es immer war,
Halb scheitern, halb gelingen?
Ich möchte leben, bis all dies Glühn
Rücklässt einen leuchtenden Funken.
Und nicht vergeht, wie die Flamm’ im Kamin,
Die eben zu Asche gesunken.
nach 1877
Der kurz vor Silvester des Jahres 1819 geborene Theodor Fontane (er starb 1891) verweigert in seinem Altersgedicht, das sich als Ausblick auf das neue Jahr präsentiert, den notorisch blinden Optimismus, der sich in so viele Silvester-Texte einschleicht. Die von Fontane aufgeworfene Frage nach der Zukunft wird zunächst mit gemischten Gefühlen beantwortet.
Der Apothekerssohn Fontane, der sich lange als Publizist über Wasser gehalten hatte, entschied sich erst im Alter von siebzig Jahren endgültig für die Existenz als freier Schriftsteller. Erst ab 1877 entsteht dann (mindestens) jedes Jahr „ein neues Buch“. In der zweiten Strophe entwirft das lyrische Ich Fontanes jene Vision des Gelingens, die ihm durch die Erfahrung des partiellen Scheiterns bislang verwehrt blieb. Ein wenig an der literarischen Unsterblichkeit partizipieren, ein Werk als „leuchtenden Funken “ zurücklassen – dieser Traum Fontanes ist in Erfüllung gegangen.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
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