THOMAS GSELLA
Dichter mit Leserin am Strand
Sieh das Meer entfesselt wüten
Sieh die Winde stürmisch wehn
Sie die Möwen äh… sich drehn
Sie… hm… Tüten, hüten, brüten…
Sieh mal da, da… ist ein Schwimmer –
Sie, das wird nix. Also gehen
wir am besten gleich aufs Zimmer.
nach 2000
aus: Thomas Gsella: Nennt mich Gott. Gedichte aus fünfzig Jahren. S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2008
Die psychoanalytische Literaturbetrachtung spricht im Blick auf Liebesgedichte gerne von „Triebsublimierung“, wenn es das Urmotiv für das Schreiben zu benennen gilt. Solche Sublimierungs-Thesen reizen dagegen selbstironie-erprobte Dichter eher zum Lachen. Ein Meister des vorbehaltlosen Lachens ist der ehemalige Titanic-Chefredakteur Thomas Gsella (geb. 1958), den seine Reimkunst beim Anblick einer verlockenden Strandschönen gründlich im Stich lässt.
Gsella gehört zu der raren Zunft der komischen Dichter, die mit satirischer Professionalität den Ast absägen, auf dem der Dichter mit Erhabenheitsanspruch sitzt. Auf amüsante Weise lässt der Hochkomiker seine Meeresstrand-Szene aus den Fugen geraten. Während die ersten drei Verse noch das Standartrepertoire des Küsten- und Strand-Gedichts zitieren, bleibt im weiteren Verlauf nur noch Gestotter übrig. Dies alles natürlich in professioneller Reimfügung.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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