THOMAS ROSENLÖCHER
Auf einen Lastkraftwagen
Wie eine Hundeschnauze, flach in das Kraut gelegt,
schmult mich von unten her, hier, am verlaßnen Ort,
wo Aufschwung noch nicht hinkam, ein fremdes Wesen an
mit halb zerbrochnen Lichtern; eingesunken das Rad,
das Trittbrett durchgerostet. Entgegen starre ich.
Die Knie leicht angewinkelt, den Oberkörper weit
nach vorn gebeugt, die Brille mit Leukoplast geklebt,
dachhaft das Haar gebrettert, die Bartverwilderung
abwärts gesträubt in Starrens Richtung. Wen kümmert das?
Was aber untergeht, scheint zukunftszugewandt.
1995/96
aus: Thomas Rosenlöcher: Ich liege in Sachsen und schau in den Schnee. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1998
In subtiler Fortsetzung der Idyllentradition hat der 1947 in Dresden geborene Thomas Rosenlöcher mit seinen Gedichten immer aufs Neue die entlegenen Winkel und die Randzonen des Alltags ins Licht gerückt. Die Idylle, so Rosenlöcher in seiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Hölty-Preises, sei nicht idyllisch, sondern Ausdruck einer Mangelerfahrung.
Ein verrostender Laster, eine notdürftig geflickte Brille in einem verwilderten Gesicht – Landschaft und Wanderer werden gleichermaßen durch Zeichen des Mangels beschrieben. So gesehen sind sie alle Opfer eines von der Politik als Aufschwung Ost gepriesenen Wandels, der nicht bis in den verlassenen Ort des Idylls reicht. Mit dem Schlussvers holt das Gedicht noch einmal aus über sein Echo auf Hölderlins „Was bleibet aber, stiften die Dichter“. Indem das Gedicht das Hölderlin-Zitat überschreibt, reagiert es auf die mitschwingende Frage „Wozu Dichter?“ und fragt frech zurück: „Wen kümmerts?“ Der Mangel sitzt also tiefer, er ist auch ein Mangel an Poesie.
Norbert Lange (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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