UNBEKANNTER DICHTER
Der Kuckuck ist ein braver Mann
Der Kuckuck ist ein braver Mann,
der sieben Frauen halten kann.
Die erste fegt die Stube aus,
die zweite bringt den Unflat raus,
die dritte nimmt den Flederwisch
und fegt dem Kuckuck seinen Tisch.
Die vierte holt ihm Brot und Wein,
die fünfte schenkt ihm fleißig ein,
die sechste macht ihms Bette warm,
die siebente schläft in seinem Arm.
19. Jahrhundert
Ein sehr eigenbrötlerischer Vogel wird in einem Volkslied des 19. Jahrhunderts als Pascha vorgestellt – ist das ein Versuch, im Gewand einer Volkslegende die promiskuitive Liebe zu legitimieren? Denn dem Kuckuck, der in der biologischen Wirklichkeit als Einzelgänger unterwegs ist und nur kurzzeitige Paarbildung betreibt, wird hier nicht nur als Herrscher über sieben Frauen beschrieben, sondern auch noch als „braver Mann“.
Man wird den Verdacht nicht los, dass hier auf leisen Sohlen eine alte Patriarchats-Phantasie Einzug hält. Es gibt in verschiedenen Mythologien die Vorstellung vom Ritter Blaubart oder ähnlich zwiespältigen Helden, die einen Harem von sieben Frauen um sich scharren (vgl. Lyrikkalender 2007 vom 12.7.). Dieses Bild wird hier in eine harmlos daherkommende Märchen-Logik übertragen. Volkslieder dieser Art wurden von dem Dichter und Lautensänger Robert Kothe (1869–1947) für die „Wandervogel“ – Bewegung reaktiviert.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007
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