Peter Handke: Poesiealbum 352

Mashup von Juliane Duda zum Buch von Peter Handke: Poesiealbum 352

Handke/Handke-Poesiealbum 352

ÖSTERREICHISCHES GEDICHT

1 Im Gedicht kommen zwei sonst getrennte Dinge
aaaaazusammen
Ein Gedicht ist eine Verkündigung

2 Jetzt!
Und das Morgenlicht im Holunderbusch

3 Der Akazienzweig in den Herbsthimmel gewirbelt
als Friedenszweig

4 Gestern im Zug der Roman „Plötzlich wie ein Fremder“
Heute auf dem Schneefeld ein fernes Sausen
das plötzlich auch in der Nähe war

5 Es ist manchmal schwer einen Schneemann anzuschauen
Aber dafür geht ein Kind mit kräftigen Schritten
eine Treppe hinauf

6 Am Vormittag in der Parfumwolke eines Landgendarmen
Am Nachmittag der Humor eines leuchtenden Kuhfladen

7 Das Pfeifen eines Zuges weit draußen in der Ebene
schließt am Abend das tagesoffene Innere

8 Die Sonne macht untergehend eine Bergkante sichtbar
und hinter den Lärchen erscheint der Mond:
Eins gibt das andre
und man freut sich

9 Eins gibt das andre
und man freut sich:
und die Freude gibt wieder ein andres

10 Das weiße Gesicht einer Meise
als Flocke in der Dämmerung

11 Zitronenfalter hier:
flatternd gelbes Büchlein
vom blauen Hemd dort

12 Hinter der Stadt Magnolia am Yukon in Alaska
rollte der Mond als Schaufelrad

13 Am Morgen noch sanftes Übersehen
der Hakenkreuze
Am Abend
der Augenblick der Philosophie

14 „Unter Gut verstehe ich hier jede Art von Freude
und ferner alles, was zur Freude hinführt“

15 „Unter Wirklichkeit und Vollkommenheit
verstehe ich ein und dasselbe“

16 Ich denke begeistert
doch ermangelnd der Liebe
und möchte ein Gedicht für dich schreiben

 

 

 

Peter Handke

ist ein Dichter des besonderen Gleichmuts. Wo scheinbar nichts ist, geht es schon um alles. Diese Poesie attackiert unser elendes „Gewußt wie und Gewußt wo“; zugleich offenbart sie ein inniges Einverständnis mit dem beglückenden Kreislauf, ja Kreisschweben des wunderbar gewöhnlichen Lebens. Die Lyrik des Nobelpreisträgers 2019 – einem weltweit ausstrahlenden Erzähler – kommt aus tiefstem Mißtrauen in mediale Sprache. Handke verwandelt Verständigungs-Schablonen und Gebrauchs-Behauptungen in plötzlich merk-würdige Klanggebilde. Als würde man beim Lesen gerüttelt, sich endlich aus klischierter Äußerungs-, also Denkart zu befreien.

Ankündigung in Thomas Gsella: Poesiealbum 351, MärkischerVerlag Wilhelmshorst, 2020

Stimmen zum Autor

Er ist ein Meister, ein lebender Klassiker. Da gibt es gar keine Diskussion.
Elfriede Jelinek

Er ist ein Schöpfer des Unerschöpflichen, denn seine Zeilen finden gerade dort einen Weg, wo andere umkehren. Er kann die Wirklichkeit lesen, wo wir das Lesen verlernt haben.
Albert Ostermaier

Jetzt stehen in meines Vaters Garten die Pilze im Kreis. Pilzherren, Geheime Räte, Kreisflüsterer. Die Nacht ist feucht, es tropft. Heine grüßt Handke, er zieht den Hut bis auf den Vaterboden, bis vor die Pilzfüße zieht er ihn … Wind kommt auf, fährt in die Dichter, die Pilze, Handke-Beat. Ein Herbstblatt tanzt vom Vaterbaum, Leuchtfäden wie Blattadern, Lichtverse.
Ulla Berkéwicz

Üblicher Sinn geht in die Fremde, die Statistik hat Talent zum Witz, und die Formel wagt es, Bild zu sein. Das besitzt dadaistische Energie. Das Gedicht wie eine Notiz, die sich genügen darf, ein kleines Aufstieben des Metaphorischen – es mag bestätigen, daß Handke, wie er selber sagt, kein Lyriker sei.
Hans-Dieter Schütt

Wer sonst hat die Sprache so ernst genommen / als seine Lebensaufgabe? / Wer sonst hat sie uns dabei immer / als unser Eigenstes ans Herz gelegt? / Wer sonst hat das Gewicht der Welt getragen / mit nichts als dem Vertrauen in die Worte? / Wer sonst ist sich selbst so treu geblieben/ und hat dabei so viel gewagt?
Wim Wenders

Seine Beschreibungsintensität hat die Steine zum Glühen gebracht und die Bleistiftspitzen zum Leuchten.
Paul Jandl

Werk eines Einzelgängers, der seine poetisch-lyrischen Funken seit Langem aus dem obsessiven Selbstgespräch schlägt und sich auf nichts verläßt, als auf den eigenen, ganz merkwürdig genordeten Kompaß.
Eva Menasse

Märkischer Verlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2020

Poesiealbum 352

Der Poesie Handkes entstrahlt Widerstand gegen die Welt der medialen Versatzstücke und ihrer beschränkten Vernunft, sie ist heitere, heilig einfaltsreiche Emanzipation von sogenannter besserer Einsicht in den Lauf der Dinge. Denn bessere Einsicht lähmt den Mut, der zugleich Anmut ist. Und der die Welt unerwartet öffnet, indem er den gewißheitsummauerten Bestand des Realen angreift. Handkes Lyrik ist purer, naiver Glaube – an einen Trotz-Kosmos „irgendwo nebendraußen“, ist Vertrauen in eine bewegte AufgeIöstheit der Dinge und ihrer handelsüblichen Benennungen.

 

Beitrag zu diesem Buch:

Matthias Biskupek: Der Poet Handke
Ossietzky, Heft 7, April 2020

 

 

Hubert Winkels: Die zwei Körper des Dichters. Am Beispiel Thomas Klings und Peter Handkes zeigt sich die Art, wie Schriftsteller sich selbst unsterblich machen wollen.

 

FÜR P. H.

„Wie der süße Apfel sich rötet am oberen Aste“,
leuchtet der Schnee um ihn,
schwarz und kahl drohen die Äste,
überglänzt von Sonne,

dein Apfel ist es, der gefrorene,
glühendes Eis, der letzte,
verkrallt in Gewachsenes,
befreit in anderen aufzuerstehen,
er gibt den Augenblick,
den Augenblick zu empfinden.

Was sichtbarer wäre?
Schnee brennt die Augen aus,
die Wunde kreist das Gesehene ein,
darin mag das andere verschwinden.

Alfred Kolleritsch

 

INTERESSANTE BEGEGNUNG
(Peter Handke)

Der Dramatiker Peter Handke
unterwegs nach einem Interesse,
begegnet der Sprache,
dann dem Senator Franz Burda aus
Offenburg, endlich sich selbst.

„Nach innen“, seufzt er, „geht
der geheimnisvolle Weg.“

Reinhard Lettau

 

 

Fakten und Vermutungen zum Poesiealbum + wiederentdeckt +
Interview
50 Jahre 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6

 

 

Fakten und Vermutungen zum Herausgeber + IMDb + Kalliope

 

Zum 75. Geburtstag des Autors:

Gespräch mit Alfred Kolleritsch: Momente einer Freundschaft
Kleine Zeitung, 3.12.2017

Peter Handke in Bildern
Kleine Zeitung, 30.11.2017

„Der Ritter der Poesie“: Gratulation, Peter Handke!
Die Presse, 6.12.2017

Sonderseite für Peter Handke zum 75. Geburtstag
suhrkamp.de

Zum 80. Geburtstag des Autors:

Glückwunsch, Peter!
Kleine Zeitung, 3.12.2022

Bernd Melichar: Der „Sprach-Geher“ oder Die Existenz an den Rändern
Kleine Zeitung, 3.12.2022

Alexander Solloch: „Poetischer Mensch“: Peter Handke feiert heute 80. Geburtstag
NDR, 6.12.2022

Alexander Solloch: „Eine lange Geschichte“: Peter Handke feiert heute 80. Geburtstag
NDR, 6.12.2022

Andreas Bernard: Der Beatnik
Süddeutsche Zeitung, 6.12.2022

Stefan Kister: Die Poetisierung der Welt
Stuttgarter Nachrichten, 5.12.2022

Knut Cordsen: Sanft, jähzornig und ein Klassiker
Bayern 2, 6.12.2022

Alexander Grau: Der große Einzelgänger
Cicero, 6.12.2022

Bernd Melichar: Der „Sprach-Geher“ oder Die Existenz an den Rändern
Kleine Zeitung, 6.12.2022

Peter Stephan Jungk, Katja Gasser, Jochen Jung, Klaus Kastberger, Amina Handke, Xaver Bayer: Sechs Zugänge zu Peter Handke und seinem Werk
Der Standart, 6.12.2022

Helmut Böttiger: Alles andere als ein zarter Poet
Berliner Zeitung, 5.12.2022

Gerrit Bartels: Peter Handke wird 80 Jahre alt: Namenlose Freude und erschütternde Schönheit
Der Tagesspiegel, 5.12.2022

Leopold Federmair: Was man über Peter Handke nicht wissen muss
Der Standart, 5.12.2022

Malte Herwig: „Diese Scheiß-Talente“
Die Welt, 6.12.2022

Mladen Gladic: Was es heißt, von Homer und Tolstoi zu kommen
Die Welt, 6.12.2022

Arno Widmann: Peter Handke wird 80: Beleber der kleinen Dinge
Frankfurter Rundschau, 5.12.2022

Paul Jandl: Das Publikum entzücken, indem er es beschimpft: keiner kann das schöner und deftiger als Peter Handke
Neue Zürcher Zeitung, 6.12.2022

Anne-Catherina Simon: Peter Handke und die drei magischen Buchstaben
Die Presse, 6.12.2022

Peter Kümmel: Ein unentwegter Augensucher
Die Zeit, 6.12.2022

 

 

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Bild von Juliane Duda mit den Texten von Fritz Schönborn aus seiner Deutschen Dichterflora. Hier „Handkerl“.

 

Bild von Juliane Duda mit den Zeichnungen von Klaus Ensikat und den Texten von Fritz J. Raddatz aus seinem Bestiarium der deutschen Literatur. Hier „Handke, der“.

 

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