13. April

Viel zu früh aufgewacht; aber schon ab sechs kommt der Tag hoch, ich hole mir beim Bäcker eine noch warme Brioche und geh gleich weiter waldwärts. Es herrscht eisige Kälte, der gestern noch matschige Weg ist steinhart gefroren und mit matt glänzendem Raureif überzogen. Nach knapp einer Stunde – ich bin bereits auf dem Rückweg – zieht sich die grelle Sonne an den Ästen hoch und wirft ihre Lichtgarben flach in den Wald, so dass die nackten Stämme ihre parallelen Schatten quer über den Waldpfad werfen. Links und rechts davon scheinen die mit Moos bezogenen Steine und Stämme in giftigem Grün aufzuglühen, das Gegenlicht verleiht ihnen zusätzlich einen goldenen Saum. Ein starker Tag mit gewaltiger Lichtfülle. Helligkeit und Kälte scheinen exakt aufeinander abgestimmt zu sein. Hin und wieder ist im Dickicht ein Knacken zu hören, in der Ferne ein vorsichtig hackender Specht. Aber merkwürdig! Kein Singvogel gibt Laut, während doch gestern, bei nieselndem Regen, der Wald vollgetrillert war. – Rasch noch bei der Post vorbei, die Zeitungen abholen, Briefe kommen kaum noch ins Fach – man korrespondiert nicht mehr auf Papier, und überhaupt korrespondiert man nur noch ausnahmsweise – umso lieber und umso häufiger wird via Mail »geteilt« (sharing): Da man (zumindest schriftlich) nichts mehr zu sagen hat, »teilt« man mit andern irgendwelche Funde aus dem Internet – abstruse Fotos, Auktionsangebote, Filmchen von YouTube, kompilierte Verrisse vom Perlentaucher, ein Sonderangebot von Zalando, ein Gedicht von Lyrikline. Dazu wird auch gar keine Antwort mehr erwartet, man kann sich damit begnügen, das Likehändchen anzuklicken. – Papst Franziskus segnet die Stadt und den Weltkreis – ein schmaler, gebrechlich wirkender Greis mit schwacher Stimme und suchendem Blick, die Arme halbhoch ausgebreitet über einer hunderttausendköpfigen Menge von … von Touristen, Gaffern, Gläubigen, Presseleuten, Polizisten. Nachfolger Petri! Unfehlbarer Oberhirte einer nach Milliarden zählenden Herde. Wozu braucht’s diesen Stellvertreter … wozu überhaupt ein Stellvertreter, da doch der durch ihn Vertretene angeblich allgegenwärtig und allmächtig ist? Und warum bejubelt man weltweit einen Stellvertreter, der einen Gott vertritt, der noch nie geantwortet hat? Der nichts … der weder Katastrophen noch Verbrechen verhindert? Der das Gute … der es den Menschen überlässt, das Gute zu tun? Den Menschen! Und doch ist Gott – das Göttliche – die gewaltigste aller menschlichen Sinnbildungsleistungen. Da Gott … da die Götter jegliche Bedeutung vermissen lassen, gehen Men und Schen massenweise hin und suchen – und finden – für das ausstehende Göttliche einen Sinn. – In den TV-Nachrichten eine Meldung über die rasch voranschreitende Dezimierung der Wildelefantenbestände in Zentralafrika; dazu eingespielt ein Filmausschnitt, aufgenommen aus dem Cockpit eines privaten Kampfhelikopters, der den Abschuss einer Elefantenherde mit Maschinengewehrfeuer zeigt – wie die riesigen Tiere sich in den Staubwolken wälzen und ein Dutzend angeheuerter Schlächter sich über die Kadaver werfen, mit Kettensägen Rüssel und Zähne und Füsse amputieren, das Elfenbein auf einen bereitstehenden Pickup werfen usf. Man kann die Schwarzen nur von hinten sehen – gebeugte Nacken, schweißglänzende muskulöse Rücken, blutige Hände: Bluthunde, angeheuert von einem russischen Oligarchen, der … (ich schalte aus). – Nach langer Zeit bin ich heute gleich zweimal im Wald mit Diana zusammengetroffen, habe sie – wie man hier in der Gegend sagt – gekreuzt. Perfekt geschminkt und gepudert, hinter ihrem weißen Pudel herhüpfend, lacht sie mich verzweifelt an und sagt, sie habe nun ihr Leben definitiv in die eigenen Hände genommen usf. Das kann bei ihr nur heißen, dass sie sich wieder einmal aus den Händen eines Liebhabers – eines »Chefs«, wie sie gern sagt – befreit hat. Aber gleich ist sie wieder auf Trab, winkt mir zum Abschied mit geballter Faust über die Schulter noch einmal zu und … und wird wohl wieder für Monate fort gewesen sein. – Zum Weekend Krys zu Besuch in Romainmôtier; helles Frühsommerwetter mit sachter Brise; Picknick zu Abend auf der Terrasse, viel geredet, zu viel getrunken, spät zu Bett; zu früh aufgewacht mit Migräne, Gang zur Bäckerei, kurzer Tratsch mit Agnieszka, dann im Garten unter zwitschernden Bäumen ein ausgedehnter Brunch, wieder müde, nochmals hingelegt; am späten Nachmittag mit dem Auto via Vallée de Joux und Mouthe nach Labergement im französischen Jura zum Abendessen – Kir royal im Vorgärtchen des Landgasthofs Au coude, danach regionale Küche, angenehme Atmosphäre. Wir bleiben bis spät in den Abend. Auf der Rückfahrt ist Krys am Steuer. Die Nacht steht sternenklar. Der abgelegene Grenzübergang ist unbesetzt.

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