18. April

Auf 3sat ein Spielfilm über Feldmarschall Erwin Eugen Rommel, in dem lauter Offiziersuniformen spazierengeführt und Ströme von Ketchupblut vergossen werden. Dem historischen Geschehen (Invasion Normandie 1944) wie auch der Psychologie der Titelfigur (allmählich aufkommende Zweifel, dann Illoyalität) widerspricht der hanebüchene Schnitt, der oft nur für Sekunden über Hunderte von Kilometern und wieder zurück springt – was aber nicht als valable Zeitraffung zum Tragen kommt, vielmehr die Hilflosigkeit der Regie decouvriert. Dass die Wehrmachtoffiziere in unerwarteten (im Krieg allerdings rekurrenten) Situationen immer wieder »Scheiße« vor sich hin fluchen, ist nur eine von manchen historischen Unverträglichkeiten – kaum jemand wird’s bemängeln, da »Scheiße« heute zwischen Schlafzimmer und Küche wie auch zwischen Baustelle und Großraumbüro der meistverwendete Ausdruck für das alte wahre »Ach« ist. – Ich habe heute, so kommt’s mir vor, zwei linke Hände, ein linkes Bein, kein Standbein; Migräne vom Nacken zur Stirn, qualvoll, als walkte mir einer das Gehirn; dabei wie zum Hohn dieses herrliche Wetter, klar und frisch – zweimal war ich draußen, wankend vor Schmerzen, mit ständigem Schmerzdruck und Unwohlbefinden; dennoch diese Augenblicke der Schönheit, der lichten Erinnerung, die heranfliegenden Ideen und Sätze, die ich dann ebenso bemüht zusammenhalten muss wie meinen Lebensmut. Ab Mittag, wieder zu Haus, geht nichts mehr, während Stunden die klaubenden Krämpfe im Kopf und bald auch in den Innereien; hinlegen geht nicht, beim Liegen ist der Schmerz besonders akut, auch im Sitzen gibt es keine Erleichterung; am besten stapfe ich im Kreis durch die Wohnung, drücke da und dort die Stirn ans kalte Fensterglas; um acht Uhr abends bin ich völlig erschöpft, um neun im Bett, nun schon zu müde, um auf den diffuser werdenden Schmerz zu achten; versuche die Konzentration zurückzugewinnen beim Lesen, diesmal mit Proust (letztes Buch der ›Suche‹), doch es gelingt mir nicht, irgendetwas von dem Gelesenen – Personendarstellung, Satzbau, Dialog, Metaphern – auch nur im geringsten interessant zu finden. – Marcel Prousts hauptsächliche psychologische Register sind Neid und Eifersucht, er braucht diese Gefühle und stattet seine Kunstfiguren reichlich damit aus, weil er dadurch seinen Voyeurismus legitimieren kann, die Oberflächlichkeit … die Oberflächenhaftigkeit seiner Weltschau, die im Kostüm und im Dekor Charakter- und Zeittypisches zu erkennen glaubt. Der Blick des Erzählers und auch seine Reflexion bleibt an Äußerlichkeiten hängen, an Kleidung, Schmuck, Spiegeln, Bildern, stereotypen Gesten und Phrasen. Das Erzählen ist hier ein additives Benennen, ist Auf- und Abzählen zugleich, führt nirgendwohin … führt in ein Irgendwo, wird praktiziert als Flohfang im luftleeren Raum, was durchaus so verstanden werden kann, dass es außer Äußerlichkeiten in der von ihm beschriebenen Gesellschaft nichts Wesentliches gibt … dass die Äußerlichkeit als solche das Wesentliche ist. Und dies zu Kriegszeiten! Zu einer Zeit, da er sich nach eigenem Bekunden »am meisten für den Krieg interessiert«. Doch vielleicht nimmt er ja auch das, was er in den Hotels und Salons beobachtet, als eine Art Krieg wahr! Als einen Krieg, der mit Augenaufschlägen, zweideutigem Lächeln, einem Griff ins Haar, ans Handgelenk, ans Knie geführt wird? Benennen statt Erzählen: Von daher die Vielzahl der Personen- und Ortsnamen, der Titel und rhetorischen Floskeln – auf jeder Doppelseite findet sich wenigstens ein Dutzend Namen, die sich stetig wiederholen und in stets wieder andern Konstellationen auftreten. So etwa auf den Seiten 78/79 der ›Wiedergefundenen Zeit‹ von 1927: Tansonville. Gilberte. Paris. La Fère. Gilberte. Gilberte. Gilberte. Guermantes. Robert. Saint-Loup. Guermantes. Doncières. Hégel. Geslin de Bourgogne. Galliffet. Négrier. Pau. De Joffre. Foch. De Castelnau. Pétain. Robert. Die Namen stehen für ihre Träger, das heißt in diesem Fall – sie stehn da an Stelle ihrer Träger, ihre ständige pleonastische Wiederholung verleiht ihnen eine geradezu musikalische, fast magische Qualität, die sich irgendwie zauberhaft zusammenschließt mit der hochdifferenzierten Architektur der meist sehr langen Sätze, die als solche so gut wie nichts besagen, die aber gleichwohl Bedeutung gewinnen, weil ihr ausgeklügeltes Design der von Proust vergegenwärtigten Scheinwelt (die die einzig wirkliche ist) genau entspricht: »entspricht«!

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