23. April

Ein besonderes Merkmal der ›Cantos‹ von Ezra Pound ist deren Mehrsprachigkeit – die rare Tatsache, dass der Autor übergangslos fremdsprachige Passagen (Einzelwörter, Redewendungen, Zitate usf.) in den dichterischen Text einfügt, ohne dazu eine Übersetzung oder gar einen Kommentar zu liefern, im Wissen also, dass der Leser über weite Strecken nur noch sehen, nicht aber verstehen kann, was er schwarz auf weiß vor Augen hat. Nebst verschiedenen Idiomen des Englischen verwendet Pound mehr oder minder umfangreiche Einsprengsel vor allem in griechischer, lateinischer, italienischer, deutscher, chinesischer Sprache und erzeugt damit einen klanglichen wie auch visuellen Patchworkeffekt, der sich – in einem kurzen Auszug aus dem Pisaner Canto LXXIX – wie folgt ausnimmt: Athene hätt’ ein wenig Sex-Appeal vertragen
aaaaacaesia oculi
aaaaa»Verzeihung, γλαύξ«
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa[»Lasst das, ich bin nicht blöd«]
aaaaamah?
aaaaaaaaa»Der Preis ist drei Altäre, multa.«

aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa»pahk den Jeep doht drüben.«
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa2 auf 2
aaaaawie heißt der Bursche gleich? D’Arezzo, Gui d’Arezzo
aaaaaNotierung
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa3 auf 3
aaaaachiacchierona der gelbe Vogel
aaaaaverharren             3 Monate lang eingelocht
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa[auctor]
aaaaabei den zwei Brüsten der Tellus
aaaaaaaaaameine Güte, ein Stabsauto /
aaaaasi com’avesse l’inferno in gran dispitto
aaaaaKapanaeus
aaaaaaaaaaamit 6 auf 3, Schwalbenschwänze
aaaaawie von Helenas Brüsten, eine weißgoldne Kuppe
aaaaa2 Kuppen für drei Altäre. Tellus γέα feconda
aaaaaaaaaa»ein jedes im Namen der eigenen Gottheit«
aaaaaaaaaaMinze, Thymian, Basilikum,
aaaaadas junge Ross wiehert wider den Klang der Bummskapelle;
aaaaaseiner Erfindung, der Produktion und dem Gemetzel
aaaaa[auf beiden Seiten] in memoriam
aaaaa»Teufel! Dürfen die nicht verschnaufen nach dem Pfiff?«
aaaaaaaaaaund wenn der Hof kein Zentrum des Wissens …
aaaaakurzum der Rotz der Pejorokratie …
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaRauschgold
aaaaavon fetten fummligen alten Weibern
aaaaaaaaaaund fetten schnarrenden alten Hengsten
aaaaaaaaaa»an der Spitze halb tot«
aaaaaMein lieber William B. Y., dein ½ war zu gelinde
aaaaa»pragmatisch Schwein« [falls Gojim] tut’s für Zweidrittel
aaaaaganz zu schweigen von der Geldanlage in dem Merbeide
aaaaaund ähnlichen Unternehmen
aaaaaaaaaaHandwaffen und Chemikalien
aaaaadieweil Mr. Keith dem von Donatello am nächsten kommt – Auffallend ist bei diesem Exzerpt (wie auch in den ›Cantos‹ generell) die Präsenz von arabischen Ziffern, griechischen Buchstaben und – hier nicht reproduziert – von chinesischen Ideogrammen, lauter Elementen mithin, die im Text als optische Irregularitäten hervortreten und zu dessen Aufsplitterung zusätzlich beitragen. Vielleicht sollte man wissen, dass Ezra Pound die Pisaner Cantos in einem amerikanischen »Disziplinierungszentrum« nördlich von Pisa niedergeschrieben hat. Dort war er im Mai 1945 wegen seiner jahrelangen aktiven Kollaboration mit den faschistischen Kriegsgegnern der USA als Landesverräter unter verschärftem Regime interniert worden. Er hauste zunächst in einem Metallkäfig, dann in einem Zelt, kritzelte auf Toilettenpapier und hatte außer der Bibel, einem chinesischen Wörterbuch und einer populären Lyrikanthologie keinerlei Bücher zur Verfügung. Dass unter diesen erschwerten Bedingungen gleichwohl zwei seiner stärksten ›Cantos‹ entstehen konnten, ist ein Rätsel – oder ein Wunder – seiner Werkbiografie.

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