Zweitakter als Lachnummer

Im Internet stosse ich auf ein Erinnerungsblatt, das ein Schüler von Hans Blumenberg über den Lehrer und Meister verfasst hat. Es handelt sich um einen ziemlich drögen, zurückhaltend engagierten Text, der im Wesentlichen Blumenbergs akademische Karriere nachzeichnet und im Übrigen sein wissenschaftliches Werk charakterisiert. − Drei eher nebensächliche Momente lassen mich einhalten.
Erstens der Hinweis darauf, dass Blumenberg zur Zeit seiner ersten Professur (in Giessen) einen DKW gefahren habe, der schon damals als klappriger Oldtimer belächelt worden sei. Worauf Blumenberg mit der Bemerkung reagiert habe, ein Zweitakter sei für einen Philosophen das absolut adäquate Gefährt.
Zweitakter!
Das erinnert unwillkürlich − aber sicherlich auch gewollt − an Dialektik, an Pro und Contra, an Aktion und Reaktion, übrigens auch, wenn man die aus den zwei Zylindern gewonnene Kraft bedenkt, an die Synthetisierung von Gegensätzen und Gegenläufigkeiten. Für Blumenberg, der damals mit Hegel und dem Hegelianismus intensiv zugang war, mag diese Hinweis naheliegend gewesen sein. Der Vergleich eines technisch nicht mehr ganz zeitgemässen Mechanismus mit dem dialektischen Denkmodell mag philosophisch unergiebig sein, er ist jedenfalls charakteristisch für Hans Blumenberg, der sich bis zuletzt mit Problemen und Phänomenen der Technik wie auch mit der Philosophie des deutschen Idealismus auseinandergesetzt hat.
Zweitens ist von Interesse das Zeugnis, wonach bei Blumenberg − im Seminarbetrieb, in Diskussionsrunden mit Doktoranden − viel gelacht worden sei, vom Gesprächsleiter ebenso wie von den Teilnehmern. Was man sich, in Kenntnis seiner entrückten metaphysischen Themenfelder und seines strengen Schreibstils, schwerlich vorstellen kann. Allerdings hat Blumenberg in einer seiner spätern Schriften tatsächlich eine Lachnummer als philosophische Urszene geadelt: Das Lachen der thrakischen Magd über den erdabgewandten, der Lebenswelt entfremdeten Philosophen, der Spott also über das − in jedem Fall komische? − Missverhältnis zwischen Himmelskenntnis und Erdentüchtigkeit oder, allgemeiner, zwischen Theorie und Praxis. Mit zunehmendem Alter scheint bei Blumenberg die Sympathie für die unbedarfte Thrakerin zugenommen, sein Abstand zur Alltagswelt indes, umgekehrt, abgenommen zu haben.
In Verbindung damit gewinnt auch, drittens, eine beiläufige Bemerkung an Interesse, derzufolge Hans Blumenberg mit seinem späten Erfolg als „Erzähler“ sowie als Verfasser philosophischer Anekdoten und Miniaturen gehadert habe, da er, der Meisterdenker, keineswegs als „Dichter“ habe gelten wollen. Mag sein, dass er die Befürchtung hatte, man nehme den Denker nicht mehr ganz ernst, wenn er den gelehrten Diskurs zu Gunsten einer eher bildhaften Rhetorik aufgebe, die Theorie also hinter die Imagination zurücktreten lasse. Blumenbergs späte philosophische Prosa ist fast durchweg sprachlich hochkarätig, als literarisch, gar als dichterisch kann sie allerdings nicht gelten − dafür ist die Vormacht strenger Begrifflichkeit vor eigensinniger Imagination bei ihm noch zu stark ausgeprägt. Den Schritt ins offene Feld der künstlerischen Literatur, wie Voltaire, Herder oder Nietzsche ihn vollzogen haben, mochte Blumenberg nicht wagen.

 

aus Felix Philipp Ingold: Endnoten
Versprengte Lebens- und Lesespäne

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00