2007-04-22

Ich flaniere mit R. K. durch eine völlig fremde Stadt ohne jedes Naturgrün; kein Baum, kein Park, keine Boskette; lauter Supermärkte, ein grosses Kaffeehaus, das auch Apotheke und Versuchsanstalt ist; enge Gassen, viele historische Bauten; ein Strassensänger, der vom Podest herab zu einem Wirtshausbesuch einlädt; ich wohne bei R. K. in einer weitläufigen Villa über der Stadt, wo er als rosiger Siebziger mit seinen zwei minderjährigen Kindern lebt; im Salon herrscht ein gewaltiges Durcheinander, die Einrichtungsgegenstände wirken wie Wegwerfware, alles gruppiert sich um einen Konzertflügel, der unter Spielzeugen, Nippes, Comics, Handschuhen, Notenheften und unzähligen Metronomen verschiedener Art und Grösse kaum noch zu sehn ist; immer wieder springen («springen») kleine Schlangen durch den Raum, meist helle, leicht fluoreszierende Tiere, die sich auch mal auf die Schulter des Hausherrn setzen; ich verabschiede mich umständlich, mit vielen Umarmungen, guten Wünschen, mit Dank, mit Respekt für R. K’s militärische Leistungen usf., doch bemerke ich nun, meine Autoschlüssel sind weg, ich weiss auch, ich habe sie zusammen mit Ausweisen, Handy, Kreditkarten usf. in jenem Café vergessen; zum Glück («Gott sei Dank») hab ich das Auto nicht abgeschlossen, und im Zündloch steckt ein andrer Schlüssel, er hat einen kitschigen, mit Malachit besetzten Griff, der aussieht, als wäre er wie Kitt oder Lehm von Hand zurechtgedrückt worden; ich fahre ein altes Cabriolet mit himbeergrünem («himbeergrünem») Stoffdach, will nun zurück in die Stadt, um den Originalschlüssel und die andern Sachen zu suchen, merke zu spät, dass die Bremsen des Wagens kaum noch greifen, muss das Auto jetzt gleich auf der abschüssigen Strasse gegen einen Mauervorsprung fahren, um nicht in den Steilhang zu rollen; derweil bin ich zurück im Kaffeehaus, wo jetzt eine Ausstellung mit seltnen Steinen gezeigt wird, die aber alle wie ganz gewöhnliche Kiesel aussehn; eine schöne Asiatin, nicht grösser gewachsen als ein sechs-, siebenjähriges Mädchen, begrüsst mich, führt mich durch die Puppenstube zu einem Kollegen, der aber keine meiner Fragen beantworten kann; alles hängt nun davon ab, ob ich einen Töpfer oder Versicherungsvertreter finden kann, der mir die Bremsen repariert.

 

aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern

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