Gefehlt

In seiner Meistererzählung Der Schuss lässt Aleksandr Puschkin zwei Duellanten auftreten, die sich ehrenhalber schiessen müssen, einander aber nicht treffen wollen. Der Mann mit dem ersten Schuss durchschiesst absichtlich die Mütze des Gegners und trifft unabsichtlich in ein Bild, das hinter diesem an der Wand hängt. In Erwartung und Abwägung des Gegenschusses umkreisen sich die Duellanten, bis der zweite von ihnen die Waffe hebt und knapp am Gegner vorbei genau in dessen Schussloch im Bild trifft. Womit sich beide durch perfekte Fehlschüsse als perfekte Schützen ausweisen. Die zwei ununterscheidbaren Einschusslöcher im Bild sind ein Loch, in wiederum perfekter Übereinstimmung der beiden Schützen, einander nicht treffen zu wollen. Kunst statt Konvention?

 

aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern

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