Lebenszeichen

I

Am 2. Dezember 1980 nahm sich der Schriftsteller Romain Gary, damals 66 Jahre alt, in seiner Pariser Wohnung das Leben. Man fand ihn, in roter Unterwäsche, auf dem Bett ausgestreckt, halb zugedeckt mit dem Duvet, seine Brille, seine Hose, seine Socken waren ordentlich auf einem Hocker abgelegt, in der noch warmen Schreibhand hielt er einen Revolver vom Typ Smith & Wesson, Kaliber 38 spezial. Gary hatte sich so präzise in den Gaumen geschossen, dass es kaum Blutspuren gab; er muss sofort tot gewesen sein.
Offenkundig wollte Gary nicht bloss als Selbstmörder gelten, es ging ihm darum, sein Ableben als souveränen Freitod in Szene zu setzen, der nicht aus äussern Gründen erfolgte, sondern als Ergebnis eines kühlen Kalküls und als adäquates Finale seines literarischen Werks. «Endlich hab ich mich vollständig ausgedrückt», heisst es in seiner letzten schriftlichen Verlautbarung. Der Tod des Autors als Schlussfigur nicht nur eines abenteuerlichen Lebenswegs, sondern auch einer weitläufigen Schreibbewegung; der Tod als Beglaubigung des Werks – «denn besser könnte man es nicht sagen».
Wie Gary seinen Freitod vorbereitet und durchgeführt hat, ist detailreich – bis hin zur Krümmung jedes einzelnen Fingers beim Auslösen des tödlichen Schusses – nachzulesen bei Myriam Anissimov, der die bisher umfänglichste Biographie des einst weltbekannten, heute fast schon wieder vergessnen Literaten zu verdanken ist. Die 1050 Druckseiten starke Fleissarbeit liegt seit kurzem in revidierter Neuausgabe vor und ermöglicht nun als verlässliche Materialiensammlung eine vielseitige Erschliessung von Garys Lebenswerk, das aus insgesamt 34 Prosabänden, zwei Filmen und zahlreichen publizistischen Texten besteht. – Einige dieser Arbeiten habe ich am Leitfaden der neuen Biographie wieder gelesen, 
konnte und kann darin aber bestenfalls gehobene Unterhaltungsliteratur erkennen, die allzu willfährig sämtliche Klischees von Sex & Crime bedient und weder peinliche Eitelkeiten noch leichtfertige Pauschalurteile zu meiden weiss.
Um vieles interessanter ist demgegenüber die Art und Weise, wie Gary sein reales Leben literarisch vereinnahmt, wie er es fiktionalisiert und ihm Werkcharakter verleiht. Tatsächlich gehört zum Werk dieses Autors auch sein Curriculum vitae – er hat es gleichermassen gelebt und geschrieben, dokumentiert und erfunden.
Myriam Anissimov kann beliebig viele Beispiele dafür namhaft machen, wie Gary über Jahrzehnte hin sein Leben – gleichsam als Dauerprojekt – immer wieder neu ausrichtet, es mit fiktivem Personal ausstattet und, vor allem, wie er sich selbst stets von neuem positioniert, sich mit wechselnden Rollen ausstattet, so dass er, zumindest im Rückblick, ständig zwischen Realität und Fiktion zu schweben scheint und wie ein Chamäleon (der Vergleich stammt von ihm) in immer wieder andrer Beleuchtung (oder Verkleidung) sich zeigen kann.

II

«Zwischen Tod und Leben gibt es nur den Kampf der literarischen Verfahren.»

Mit diesem bemerkenswerten, eher zum Nouveau roman denn zu seiner eignen Literaturauffassung passenden Notat bestätigt Gary ein Lebens- und Arbeitskonzept, das man als phantastischen Realismus oder als reale Phantastik bezeichnen könnte insofern, als es der Fiktion Wirklichkeitsstatus zugesteht, während die Wirklichkeit in donquijotesker Manier fiktional verfremdet wird. In literarischen Texten wie auch in Interviews, in autobiographischen Schriften und selbst in offiziellen Dokumenten hat Gary widersprüchliche Angaben zu seiner Person gemacht. Herkunftsmässig präsentierte er sich, der 1914 als Jude russischer Staatsangehörigkeit in Wilna zur Welt kam, abwechselnd als Balte, Pole, Russe, Kosak, Balkanese, Mongole, Armenier (oder Kaukasier), derweil er sich in Frankreich, wo er seit 1928 lebte, bald als «Patriot», bald als «Europäer» wortreich zu empfehlen pflegte. Auch sein Geburtsdatum, seinen Geburtsort sowie die Namen und Berufe seiner Eltern hat er uneinheitlich überliefert.
Es ist durchaus staunenswert, mit welcher Konsequenz Romain Gary sein Curriculum immer wieder umgeschrieben, es in zivilrechtlicher Hinsicht also gefälscht hat, um ihm nach Belieben einen abenteuerlichen, einen komödiantischen, gern auch einen adligen Touch zu geben – als wäre sein reales Leben nicht abwechslungsreich genug gewesen: Bevor Gary zum Erfolgsschriftsteller wurde, studierte er Jurisprudenz, diente ab 1938 in der französischen Luftwaffe als Kampfpilot, floh 1940 nach England, von wo aus er mit der Bomberstaffel «Lorraine» Kriegseinsätze in der Normandie, aber auch in Nordafrika gegen die deutschen Okkupanten flog. Von 1945 bis 1961 war Gary in verschiedenen Funktionen und auf verschiedenen Auslandsposten als Diplomat tätig, zeitweilig war er offizieller Sprecher bei der UNO in New York.
Für sein literarisches Werk, das er ab 1945 meist in französischer Sprache, teilweise auch auf Englisch verfasste, erhielt er in Paris zweimal den renommierten Prix Goncourt, einmal 1956 für Die Wurzeln des Himmels (Les racines du ciel), ein zweites Mal 1975 für den Roman Das Leben vor sich (La vie devant soi), den er – von der Kritik unerkannt – unter dem Pseudonym Émile Ajar veröffentlicht hatte. Gary benutzte damals nicht nur einen fremden Namen, um seine Autorschaft gleichzeitig zu beglaubigen und zu vertuschen, er beauftragte überdies seinen Neffen Paul Pavlowitsch, ihn – also Gary alias Ajar – in der Öffentlichkeit zu vertreten. Er selbst hat dieses ingeniöse Versteckspiel postum in einem sarkastischen Traktat unter dem Titel Leben und Tod des Emile Ajar (Vie et mort d’Émile Ajar, 1981) offengelegt.

III

Das Versteckspiel ist vorab ein Spiel mit Namen – mit realen und fiktiven Eigennamen, das heisst mit fiktiven Namen für reale Personen und mit realen Namen für fiktive Personen. Zu den realen Personen in diesem Namenspiel gehört in erster Instanz der Autor selbst, der oft als Erzähler, manchmal auch als literarische Figur fungiert. «Romain Gary», mithin der Name, der für die meisten Publikationen dieses Autors steht und der in manchen Dokumenten auch dessen zivile Person bezeichnet, ist ein Deckname für Roman Kacew, als der Gary geboren wurde. In Frankreich hat sich der Immigrant aus der UdSSR seit seiner Volljährigkeit mit Vorliebe Gary de Kacew genannt und als Geburtsjahr 1915 angegeben. Als fiktive Geburtsorte nannte er bald Kursk oder Moskau, bald einen «Bahnhof an der russisch-polnischen Grenze» oder auch bloss ein nicht näher bezeichnetes «Grenzgebiet». Dass er seine einfachen jüdischen Eltern in vielen Verlautbarung als bekannte «Schauspieler» auswies, macht deutlich, wie sehr er sich zum Milieu des Theaters und damit zur Welt der spielerischen Repräsentation und der Verstellung hingezogen fühlte: Das Namenspiel ist immer auch ein Rollenspiel. Übrigens hat Gary seine Mutter, Nina Owczyńska, die ihn allein erzog und der er zeitlebens hingebungsvoll verbunden blieb, gern «Mina» genannt, was gleichermassen auf die deutsche «Minne» und die lateinische «Anima» verweist.
Gary wiederum – gesprochen «Garí» – ist gleichlautend mit dem russischen Imperativ zu goret’ (brennen) und sollte wohl Garys leidenschaftlichen Charakter evozieren: «Brenne!» Es handelt sich hier also um ein nicht nur verbergendes, sondern auch explikatives Pseudonym, das über seinen Träger mehr aussagt als dessen realer Name. Weniger einsichtig ist demgegenüber die Tatsache, dass Gary seinen ursprünglichen Vornamen Roman, in dem doch das Romanhafte seines Lebensentwurfs gleichsam natürlicherweise angelegt ist, in «Romain» (der Römer) abgewan
delt hat. – Eine Namenverknüpfung besonderer Art stellt Gary in seinem Roman Adieu Gary Cooper (1969) her, indem er sein Pseudonym mit dem gleichlautenden Vornamen des amerikanischen Kinostars zusammenführt. Die Verabschiedung des «positiven Helden» Gary Cooper bedeutet für Romain Gary das Ende einer Ära, in der Qualitäten wie Integrität, Korrektheit, Höflichkeit noch hochgehalten wurden, Qualitäten, die er in Gary Cooper exemplarisch verkörpert sah, die aber von der damals aufrückenden Generation der 68er radikal in Frage gestellt, durch quasiproletarische Kumpelhaftigkeit verdrängt und schliesslich durch kriminellen Fanatismus zerstört wurden. Als überzeugter Gaullist hat Romain Gary diese Entwicklung zutiefst bedauert, aber auch sarkastisch kommentiert, und zweifellos verabschiedet er mit Gary Cooper auch sich selbst aus einer Welt, der er sich zugehörig fühlte, die er aber nur mehr als eine Welt von gestern wahrzunehmen vermochte.

IV

«Romain Gary» war das beständigste, doch keineswegs das einzige Pseudonym, unter dem Roman Kacew als Autor aufgetreten ist. Mit dem Namen «Fosco Sinibaldi», der auf den unsteten Seefahrer «Sindbad» anzuspielen scheint, hat Gary seinen Roman L’homme à la colombe (Der Mann mit der Taube, 1958) signiert; als «René Deville» hat er die englische, als «Shatan Bogat» die französische Fassung des Romans Les têtes de Stéphanie (Stephanies Köpfe, 1974) veröffentlicht – beide Pseudonyme lassen sich übersetzen, dieses als «der reiche Satan» (von russisch «bogat», reich), jenes als «der Wiedergeborene aus der Stadt» («René» von lateinisch «renatus»). – Von besonderm Interesse ist ein Kunstname, den sich Gary zwar ausgedacht, den er aber offenbar nie verwendet hat: «Lucien Brûlard», eine leicht erkennbare Kontamination aus zwei Romantiteln von Stendhal, nämlich Lucien Leuwen und Vie de Henri Brulard. Durch die kaum merkliche Abänderung von «Brulard» zu «Brûlard», spielt Gary auf sein eigenes Pseudonym an; denn französisch «brûler» bedeutet so viel wie russisch «goret’», also erneut «brennen», und somit werden «Brûlard» und «Gary» bedeutungsmässig ineins gesetzt – Hommage, aber auch Herausforderung des Russen Kacew an seinen Lieblingsautor Stendhal!
Romain Garys verwirrliches Namenspiel findet seine Fortsetzung und seinen fulminanten Abschluss mit der Lancierung des Pseudonyms «Émile Ajar», das für vier seiner späten, meist rasch hingeschriebnen, dabei ungewöhnlich erfolgreichen Romane verwendet wurde. Das Pseudonym «Ajar» ist also das Pseudonym eines Pseudonyms, und beide sind sie semantisch eindeutig aufeinander bezogen. «Ajar», gesprochen «ashar», ist ein Anagramm zu russisch «shará», d.h. Hitze, Glut, stimmt also mit «Gary» (abgeleitet, wie erwähnt, von russisch «garí») genau überein.
Gary hat es in diesem Fall jedoch nicht beim Einsatz eines neuen Pseudonyms bewenden lassen, er hat zu dem Kunstnamen gleich auch einen künstlichen Autor kreiert, den er, nach geheimer vertraglicher Regelung, durch die reale Person seines Neffen Paul Pavlowitch vertreten liess. Und mehr als das – unter dem Namen Ajar und unter dem Titel Pseudo (1976) präsentierte er das folgenreiche Verwirrspiel in Form einer fiktiven Dokumentation, der unter anderm zu entnehmen ist, dass er, «Émile Ajar», seinen Namen (und das heisst in diesem Fall sein Pseudonym) hergeleitet hat vom ähnlich klingenden Namen des libanesischen Terroristen «Hamil Raja» – «Raja» ist hier ein perfektes Palindrom zu «Ajar»…
Romain Garys von langer Hand vorbereitete Selbstinszenierung als «Émile Ajar» hat den französischen Literaturbetrieb während Jahren beschäftigt, ist aber erst nach dem Tod des Autors Roman Kacew durchschaubar geworden, als dessen Bericht über Leben und Tod des Émile Ajar 1981 im Druck erschien. Gary konnte in diesem kleinen Testament mit gutem Recht – und zur Irritation der professionellen Literaturkritik – darauf hinweisen, dass 
alles, was er unter dem Namen «Ajar» publiziert hatte, bereits in den früheren Werken von «Gary» enthalten war, die Stoffe ebenso wie das Personal. Nicht ohne Süffisanz nahm Gary, der sich trotz seines grossen Publikumserfolgs stets verkannt und unterschätzt fühlte, zur Kenntnis, dass dieselben Feuilletonisten, die ihn zuvor mit Missachtung bedacht hatten, seine unter dem Namen «Ajar» erschienenen Bücher nunmehr als Meisterwerke belobigten und sie mit den Romanen eines Aragon, eines Queneau verglichen.

V

Weit bemerkenswerter als Garys postumer Triumph über seine Verächter ist allerdings sein Versuch, die eigene Autorschaft funktional zu bestimmen. In Leben und Tod des Émile Ajar wie auch in Pseudo findet sich dazu, eher beiläufig eingestreut, manch ein Statement, das zum Weiterdenken einlädt. Klar wird, dass Gary als Autor unter verschiedenen Decknamen operiert hat, ja, hat operieren müssen, weil er sich selber unerträglich war, seinen eignen Ansprüchen nicht genügen konnte, sich für beschränkt hielt und deshalb immer wieder neue literarische Identitäten zu begründen suchte, die ihm auch neue Lebens- und Arbeitsmöglichkeiten eröffnen sollten. Er selbst hat sich als «kollektives Werk seiner selbst» bezeichnet, wohlverstanden – als Werk, und nicht als Autor.
Denn sein eigentliches Begehren bestand darin, ein erfolgreicher Schriftsteller zu werden, der jedoch ausschliesslich im Werk und eben als Werk greifbar wäre. Dazu gehörte wohl auch der Wunsch, die eigne Existenz unter wechselnden Namen zu variieren und zu erweitern, das Bedürfnis, «sich selbst zu entkommen» und immer wieder neu beginnen zu können. «Ich wollte nicht bekannt sein. Ich wollte in einem unbekannten Winkel eines unbekannten Landstrichs ein unbekanntes Leben mit einer unbekannten Frau, wollte eine unbekannte Liebe, eine noch unbekannte Familie und um mich herum noch unbekannte menschliche Wesen, denen es womöglich gelingen würde, eine noch 
völlig unbekannte Welt zu errichten», liest man in Pseudo; und dazu den Nachsatz: «Ich fürchte mich, während ich das niederschreibe.»? Der Übergang Roman Kacews vom berühmten «Romain Gary» zum völlig unbekannten Jungautor «Émile Ajar» war diesbezüglich besonders markant. – «Ich war mir stets ein Anderer», heisst es dazu in Garys nachgelassener Bekenntnisschrift:

«Es war eine neue Geburt. Ich begann von vorn. Alles war mir noch einmal gegeben. Ich hatte die vollkommene Illusion einer Neuschöpfung meiner selbst durch mich selbst … Und als ich, unbekannt, unerkannt, gleichsam ein zweites Mal auf die Welt gekommen war, wohnte ich meinem zweiten Leben als Zuschauer bei.»

Doch ganz problemlos ging diese Nachgeburt für den Autor nicht ab. Es gab, nach seinem eignen Bekenntnis, zwei Personen, genauer: zwei Kunstfiguren, welche in ihm sich rauften und ihn in eine unhaltbare Situation versetzten: «Ich begann nun täglich Figuren zu erfinden, die ich nicht war, und gelangte so zu noch weniger von mir selbst.» Je vielfältiger der Charakter, desto leerer die Seele.

«Ich selbst war die Abwesenheit von mir selbst.»

An andrer Stelle spricht Gary geradezu flehentlich vom Nichts, in das er eingehen, nein, das er sein möchte. Dazu passt, wie ich unlängst in einer privaten Autographensammlung konstatieren konnte, dass Gary persönliche Briefe mit «Romain Kacew» zu unterzeichnen und danach den Familiennamen durchzustreichen pflegte.

 

Der oftmals thematisierte «Tod des Autors» wird hier tatsächlich als literarischer Freitod in Szene gesetzt. Der reale Autor Roman Kacew, der sehr viel geschrieben, aber nie ein Buch vorgelegt hat, bleibt hinter den Masken, den Personae seiner Kunstfiguren zurück und sieht ihnen – also sich selbst – beim «Leben» zu: «seinem» Leben als Frauenheld, als Hochstapler, als Manager, als Komödiant, als Diplomat oder auch als Elephant, sogar als Orangenbaum:

«In jener Nacht war ich ein blühender Orangenbaum in Tunis. Schon immer wollte ich ein blühender Orangenbaum sein, aber einer, der Halt macht, der aus Prinzip keine Früchte bringt.»

VI

Man könnte, man sollte hier an die jüdische Legende vom Dibbuk denken, der sich parasitär in einer Fremdperson einrichtet und fortan von innen her deren Verhalten bestimmt. Gary hat auf diese Legende zurückgegriffen, hat sie produktiv gemacht für seinen grossen Roman Der Tanz des Genghis Cohn (La danse de Genghis Cohn, 1967), dessen Antiheld, ein deutscher Polizeikommissar namens Schatz, vom Juden Cohn, einem Naziopfer, bewohnt und besessen ist. Der listige Dibbuk, Seele des 1942 ermordeten Cohn, richtet sich in Schatzens Innenleben behaglich ein, unterhält ihn mit Witzen und Horrorgeschichten, versucht ihm Jiddisch beizubringen und treibt so den Kommissar, von dessen «Besessenheit» niemand etwas ahnen kann, allmählich in den Wahnsinn.
In ähnlicher Weise besetzt Romain Gary seine literarischen Protagonisten, um sie durch ihre Abenteuer zu steuern, doch umgekehrt lässt auch er sich besetzen und lenken, indem er die von ihm geschaffenen Charaktere aus seinen Erzählwerken als untote Seelen in sich aufnimmt, sie an seiner Persönlichkeit teilhaben 
lässt. War das Leben des Roman Kacew auch düster, die Kunst des Romain Gary war vorwiegend heiter. «Ich habe mich gut amüsiert», lautet der letzte von ihm zum Druck beförderte Satz: «Auf Wiedersehn und Dankeschön.»

Auf Wiedersehn – wo? mit wem?

Keiner von Garys Zeitgenossen hat den «Autor» mit vergleichbarer Radikalität zum «Verschwinden» gebracht, auch keiner aus dem gegnerischen Lager des Nouveau roman, zu dessen Programm das «Verschwinden des Autors» bekanntlich vorrangig gehörte. Einzig Roman Kacew alias «Romain Gary» alias «Émile Ajar» usf. ist es gelungen, sich selbst als auktoriale Instanz abzuschaffen und zur Gänze in einem disparaten Werk aufzugehen. Dieses Werk mag künstlerisch von minderem Rang sein, doch die Art und Weise, wie Kacew durch eben dieses Werk an der Schnittstelle zwischen Literatur und Leben eine fiktive Autorschaft instituiert hat, ist an sich schon eine Meisterleistung. – Ich gehe noch weiter und wage den riskanten Schluss, dass Kacews Pseudonyme und deren ebenso kunstvoller wie effizienter literarischer Einsatz als sein wichtigstes Werk zu gelten haben.

 

aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern

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