Lesezeichen [2]

Simone Weil: «– Die richtige Art zu schreiben ist so zu schreiben, wie man übersetzt.» Aber auch: «Schreiben wie ein Übersetzer und so auch handeln.»

Selbstentmächtigung als dichterische Stärke; die späte Rose Ausländer im Gespräch: «Warum schreibe ich? Weil ich, meine Identität suchend, mit mir deutlicher spreche und dem wortlosen Bogen. Er spannt mich. Ich bin gespannt auf die Wörter, die zu mir kommen wollen. Ich rede mit ihnen zu mir, zu dir, rede dir zu, mich anzuhören.»

«Schreibend schreibt er im Schreiben geschriebene Schriften, der Schreiber», schreibt der Übersetzer und Schriftsteller Johann Heinrich Voss.

Bei Rosanow finde ich, beiläufig notiert, den Satz: «Durch mich hat Gott die Welt verfinstert.» Wortmächtiger, eigenmächtiger kann kein Mensch (kann der Mensch nicht) seine Monstrosität zur Sprache bringen; Selbsterhöhung und Selbstzerknirschung in einem, Erhabenheit und Lächerlichkeit zum andern; das galoppierende Untier kurz vorm Ziel.

F. O. in einem Zeitungsinterview: «…der Döblin hat einmal gesagt, wenn er den ersten Satz hat, dann ist bereits der ganze Text da.»

Dimitrij Mirskij über Aleksandr Blok (Die Zwölf): «Irgendjemand (oder etwas) führte Blok die Hand, und er war lediglich das Instrument, ein allerdings von ihm selbst vorab vervollkommnetes Instrument.» Blok sei eine «Äolsharfe der Winde» gewesen, «die von jenseits der Grenzen der Welt heranwehten» (nach Uncollec­ted Writings, Berkeley 1989).

Martin Heidegger in seinem «Vorwort» (Gedicht) zu Celans Todt­nauberg:

«Wann werden Wörter Worte?
Wenn sie sagen,
– nicht bedeuten
– nicht bezeichnen.
Wenn sie zeigend tragen
an die Orte
reiner Eignis…» usf.

aaaaaaaaaa(geschr. 1970)

Vorgabe: «Der Text ist ihm [dem Dichter] schon vorgegeben; wir, die Leser, entziffern unsererseits eine Lektüre, das vom Schreibenden bereits Abgelesene.» (Jean Bollack, Das wahre, entheiligte Wort, 1997)

Anna Achmatowa: «Es gibt hienieden Worte, die nicht wiederholbar sind, wer sie ausgesprochen hat, hat zuviel weggegeben.» Hat also der, der einmalige Worte setzt, Worte, die nicht zu wiederholen, also nicht zu brauchen sind, schlecht investiert?

Und wieder die Achmatowa (1962; aus dem Russischen):

Mein Gott, wie’s hier von Versen wimmelt,
Von Reimen ist die Wirklichkeit verstellt.
Die Stille komme über uns – als Himmel,
Ein Lied sei unser Hort in dieser Welt,
Das Schweigen gelte als Erkennungszeichen,
Das insgeheim uns eint als Gleiche
Unter Gleichen …

Das orientalische Ego ist (nach Lafcadio Hearn, in Kokoro🙂
«nicht individuell / nicht einmal eine ziffernmässig auszudrückende Vielheit. / Es ist ein Aggregat oder eine Zusammensetzung unfasslicher Vielfältigkeit, die konzentrierte Summe des schöpferischen Denkens vorhergegangener, zahlloser Leben».

 

aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern

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