«Maler und …

und Modell» – eine Geschichte, die ich hätte erfunden haben können, wenn sie nicht wahr wäre, also tatsächlich sich ereignet hat. Berichtet wurde sie mir von einer langjährigen Bekannten, die sich nach kurzer intensiver Beziehung von ihrem Freund, einem hierzuland bekannten Maler, getrennt hat. Seit der Trennung wird die Frau vom einstigen Liebhaber permanent belästigt, verfolgt, sogar bedroht; eine Wiederaufnahme der Beziehung lehnt sie ab. Um die Geliebte dennoch zur Rückkehr zu bewegen, droht er ihr nun, erotische Zeichnungen von ihr, die in einstiger Intimität entstanden sind, ins Internet zu stellen. Der Mann hatte damals in ausgedehnten Arbeitssitzungen ihr offenes Geschlecht in immer wieder neuen Varianten wie ein Gesicht aus nächster Nähe porträtiert. Mit einem mehrfarbigen Fettstift, der in zufälligem Wechsel rot, gelb oder blau zeichnet, stellte er originalgross und akribisch genau ihre Scham in wechselnden Erregungszuständen dar – «aufs Haar genau», wie die Frau sich zu erinnern glaubt. Was einst als Liebesbezeugung oder als stolzer Eigentumsnachweis, vielleicht auch bloss als künstlerische Fingerübung gedacht war, soll jetzt das Modell als Person öffentlich diffamieren. Rache statt Huldigung. Aber das Beweismaterial ist eins.

 

aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern

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