Reimlos

E. F. berichtet, wie sie einst als Kind unter Aufsicht und Anleitung Weihnachtskerzen bemalt und sich gefreut hat, wenn beim Niederbrennen die dargestellten drei Könige oder der Stern von Betlehem von der Krone her aufgezehrt wurden und verschwanden. Für sie sei, sagt sie, die Selbstverzehrung der Kerzen und Bilder ein wundersamer Gewinn an Wärme-, auch an Gemütlichkeit gewesen. Ich hätte, muss ich gestehn, überhaupt nicht an das Abbrennen der Kerzen denken mögen, mir hätten die Könige, der Stern irgendwie leid getan. Für mich wären sie, auch wenn ich sie selbst aufgemalt hätte, eigenständige Wesen gewesen, mir zwar fremd in ihrer Künstlichkeit und doch «wie lebendig». Ich erinnere mich, dass selbst der Osterhase aus weisser Schokolade für mich in fernen Zeiten keine blosse Schleckerei war, auch kein Spielzeug, sondern so etwas wie eine Skulptur, die es möglichst lange (bis zur Ungeniessbarkeit) zu bewahren galt. Alles Nützliche wollte ich in jenen frühen Jahren getrennt wissen vom Künstlichen, so wie ich auch jetzt Kunst und Welt nicht auf einen Nenner bringe, zwischen Kunst und Leben keinen Reim erkennen und auch keinen solchen herstellen kann. Darunter und daran leide ich denn auch gehörig, und ich fürchte, so wird’s bleiben; auch wenn in Wirklichkeit alles anders ist.

 

aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern

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