Schwätzer

Nachdruck eines langen Interviews mit Louis-René des Forêts in der Quinzaine Littéraire; die Rede geht weit mehr vom Lesen als vom Schreiben; überhaupt sagt des Forêts, der ja erst im hohen Alter mit Ostinato zum Erfolg kam, dass das Schreiben für ihn stets Nebenbeschäftigung gewesen sei, viel eher hätte er Musik machen, Bilder malen wollen. Aufgewachsen ist er in der Riesenbibliothek seines Vaters, die er offenbar tatsächlich – schon als Halbwüchsiger entsprechend gefrässig – durchgelesen hat; zusammen mit Queneau sei er, so sein Diktum, der weithin beste Kenner aller Literatur des 19. Jahrhunderts gewesen, nicht nur der kanonisierten, auch der trivialen und der abseitigen. Die meisten seiner Texte, v.a. den berühmten Schwätzer von 1946 habe er grösstenteils abgeschrieben, ganze Passagen fast unverändert übernommen von Kleist, Faulkner, Flaubert, Dostojewskij, Breton, Robert Walser … Dabei habe er nie einen Gedanken an Imitation oder Plagiat gehabt. Da doch auch die Wörter im Lexikon nicht urheberrechtlich geschützt seien, sollten es auch die Wortverbindungen, die Sätze in literarischen Texten nicht sein; und überhaupt gehe es beim Schreiben nicht wirklich ums Nachschreiben, vielmehr darum, die Wörter oder eben die Sätze, auch ganze Passagen in neuen Vernetzungen vorzuführen – die Transformation, die Verbindung des vorgefundnen Materials, und nicht dessen Erfindung mache den Meister aus, der immer nicht mehr als ein ingeniöser Kopist sei.

 

aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern

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