Gabe

»… was ich dir nämlich voraushabe«, schrie sie, »was ich dir sozusagen vorwegnehme, ist dieses Schweigenundwartenkönnen, diese Gabe der Durchlässigkeit, der Durchsichtigkeit sogar, ich meine – fast schon der Transparenz. Diese Standhaftigkeit nämlich, diese Dauerhaftigkeit auch – das kommt bei mir noch vor dem Wort, vor dem Mann; bevor du mich hast. Aber du, wenn du etwas wenn du mich nicht gleich benennen kannst, bist du verloren, findest du, du bist verdammt; ich nicht. Das vielleicht ist mein Vorteil, wenn ich schreibe; daß ich diesen Zustand des Offenseins, des Aufmerksambleibens, des Lauschens – von außen her – erreiche dabei: wenn ich schreibe, habe ich wirklich das Gefühl, so völlig unkonzentriert zu sein, ich besitze mich überhaupt nicht mehr, ich bin wie ein Sieb, ich werde heimgesucht von der eigenen Erfahrung, vom Leben, wenn du willst …«

»… beim Lesen vielleicht«, wandte er ein: »Denn sonst schriebst du ja nicht!«

 

aus: Felix Philipp Ingold: Haupts Werk Das Leben
Ein Koordinatenbuch vom vorläufig letzten bis zum ersten Kapitel.

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