Informationsvermittlung

Hansi H., eine fünfzehnjährige Schülerin aus der Nachbarschaft, führt mir ein mikroelektronisches Gerät von der Größe eines Streichholzbriefchens vor, in dem nicht nur alle gängigen Rechenfunktionen zusammengefaßt, sondern auch ein digitales Zeitmessungssystem (mit Stoppuhr, ewigem Kalender, Biorhythmenanalysator, zwei unabhängigen Alarmanlagen, Datenanzeiger nach Jahr, Monat, Woche, Tag, Stunde, Minute, Sekunde) sowie ein Radioteil mit drei Wellenbereichen und ein Synthesizer zur Komposition und Wiedergabe einfacher Tonsätze untergebracht sind.

Ich habe Mühe, Hansis Begeisterung für dieses Gerät zu teilen. Abgesehen davon, daß ich damit kaum umzugehen wüßte und auf sein Leistungsangebot durchaus verzichten könnte, fällt es mir schwer, mit den immer kleiner werdenden technischen Objekten überhaupt noch in irgendein irgendwie geartetes menschliches Verhältnis zu kommen. Da lobe ich mir meinen alten – meinen ersten! – Transistorradio, der mich seit zehn, zwölf Jahren trotz seiner Übergröße und Überschwere wie ein Haustier begleitet und ein Klima der Sympathie erzeugt, was mich nicht selten in Versuchung bringt, den mattschwarzen Apparat zu streicheln; fast bedaure ich dann, daß er kein Fell, kein Geschlecht und nur eine ungefähre Physiognomie hat.

Um auf die mikroelektronischen Geräte zurückzukommen: ich vermute, daß deren Miniaturisierung dann erst abgeschlossen sein wird, wenn man sie, um sich zu informieren, in Pillenform einnehmen kann; also einnehmen muß. Mit der chemotechnischen Informationsvermittlung wäre dann freilich jener Wendepunkt erreicht, wo die Menschen ihrerseits zu Maschinen und ihre Haustiere ganz und gar überflüssig würden.

 

aus: Felix Philipp Ingold: Haupts Werk Das Leben
Ein Koordinatenbuch vom vorläufig letzten bis zum ersten Kapitel.

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