M

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MANTEL

 

 

 

(vgl.
UNIFORM)

 

 

 

 

MÖGLICHKEIT

 

(vgl. WEIB)

 

 

 

Daß aus dem viel zu großen, mehrfach gefütterten und schwer gepolsterten Mantel Baschmatschkins – als wär’s eine kollektive Riesenlarve – so unterschiedliche Autoren wie Dostojewskij, Babel und Nabokov gekrochen sind, läßt zumindest ahnen, in welchen Dimensionen Gogol seinen poetischen Raum zu denken pflegte und zu pflegen gedachte. Kaum ein Gogolscher Text ist so oft, so gründlich, so widersprüchlich ausgelegt worden wie – eben – »Der Mantel«. Doch keiner der Exegeten scheint im Mantel etwas anderes als ein Uniformstück oder eine säkularisierte Priesterkutte erkannt zu haben: der Interpretationsspielraum reicht von der Heiligenlegende bis zur sozialkritischen Anklageschrift. Daß es sich aber bei dem Beamten Baschmatschkin um eine Frau, bei seinem Mantel um einen als mausgrauer Fetisch getarnten Weiberrock hätte handeln können (und folglich handeln könnte), ist von der bisherigen Forschung, wie es scheint, nicht einmal als Möglichkeit bedacht worden. Und doch bauscht sich jener Mantel (in den »Toten Seelen«) über dem knospenden und zusehends anschwellenden Leib einer Dame unversehens zum Rock und expandiert, bis er »die halbe Kirche füllt«. Die strukturelle Ähnlichkeit von Weib und Werk ist offensichtlich, und in der Tat entspricht die dynamisch sich steigernde Komposition der »Toten Seelen« am ehesten einem Frauenkleid: der goldenen Kuppel. »Unter keinen Umständen«, meint nachträglich Gogol, »hätte ich ein Werk aus den Händen geben dürfen, das zwar in seinem Zuschnitt nicht schlecht, jedoch nur flüchtig mit weißem Faden zusammengeheftet war gleich einem Kleidungsstück (Mantel/Rock), das der Schneider zur Anprobe mitbringt.« 1

 

aus: Felix Philipp Ingold: Haupts Werk Das Leben
Ein Koordinatenbuch vom vorläufig letzten bis zum ersten Kapitel.

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