Positionen

Während Diderot mit phallokratischer Gebärde seinen Stiel – den stylos – zum Stil entfaltet, geht Mme d’Epinay davon aus, daß als Autor »jeder Mensch gleich« ist, Mann und Frau »von gleicher Natur und Konstitution«; wobei sie kritiklos anzunehmen scheint, daß Gleichheit grundsätzlich als Ergebnis von Angleichung – der Angleichung der Frau an den Mann – zu gelten habe. Die Frau, wenn sie schreibt, schreibt nicht im eigenen Namen, sondern im Namen der Frau (oder der Frauen) und somit aus männlicher Position; von außen, von oben. Indem die Weiblichkeit in der Schrift sich absolut setzt, wird sie zum Neutrum, schafft sich ab – sie räumt das weiße Feld, überläßt es dem Man(n). So unterliegt das Weibliche als Subjekt; es bringt sich nicht ins Spiel, setzt sich nicht in Szene, wird nicht zum corpus des Texts.

(Dieser allzu nachgiebigen Position setzt der Autor – hier also Diderot – seine Erfahrung als Mann und als Liebhaber entgegen, für den die Frau, als Geschlechtswesen und als Geschlechtsobjekt, in zwiefacher Hinsicht der andere Teil – das Andere – des Menschen ist, der – oder das – sich, schreibend, immer nur im Maskulinum zu behaupten vermag. Und so weist denn dieser Autor die Frau mit spielerischer, vielleicht aber auch nur mit gespielter Souveränität der männlichen Deklination zu – und beugt sie entsprechend; er beugt sie zu sich herunter auf den Grund der männlichen Natur, um ihr von dorther Ausdruck und Bedeutung zu verleihen. Als Zeuge und Autorität – Richter und Partei zugleich – macht Diderot die Frau zum Gegenstand der Schrift, ohne jemals die übergeordnete Position des männlichen Subjekts aufzugeben, wobei er sein Geschlecht – wie auch das andere – konsequent einsetzt, um einen leidenschaftlichen, einen ebenso subtilen wie brutalen Diskurs zu erzeugen, der das weibliche Objekt im männlichen Subjekt bis zur Ununterscheidbarkeit aufgehen läßt…)

 

aus: Felix Philipp Ingold: Haupts Werk Das Leben
Ein Koordinatenbuch vom vorläufig letzten bis zum ersten Kapitel.

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