Radikale

… bleibt also radikale Literatur – jene, welche man durch so absonderliche Namen wie »Gnedow«, »Urmuz«, »Kafka«, »Krutschonych«, »Witkacy«, »Bataille«, »Hohl«, »Molloy« bezeichnet und bannt – auf die terroristische Alternative Freiheit oder Tod festgelegt; daher auch der Schrecken, den solche Literatur, indem sie statt einer Lehre die Leere jeglicher Lehre zum Vorschein bringt, unter Lesern noch immer verbreitet…

… wie auch unter Autoren; denn wer in solchem Sinn (intransitiv) schreibt, hört auf, er selbst zu sein – ein Individuum, das an einer bestimmten Aufgabe und auf ein bestimmtes Ziel hin arbeitet, indem es – er oder auch sie – hier und nur jetzt tätig wird: der Autor ist Freiheit-an-sich, Freiheit, die kein Anderswo kennt und auch kein Morgen, kein Gestell, kein Werk; für ihn gibt es nichts mehr zu tun, da alles bereits getan – und somit nichtig geworden – ist. Dieser Autor hat kein Recht mehr auf das eigene Leben; was er berührt, was ihn anrührt, ist öffentlich, ist ihm entzogen. Wie Josef K., wie Blanchot und Beckett lädt er dann die schwerste Schuld auf sich, wenn er verdächtigt werden kann, ein Geheimnis gewahrt, eine Idee, eine Vertraulichkeit für sich behalten zu haben. Und – ja – am Ende – da hat er – kein Recht mehr – auf ein faktisch und physisch von der Allgemeinheit abgetrenntes Dasein. Ja – und – auch sein äußerstes Recht, das Recht auf den eigenen Tod, wird ihm zur Pflicht gemacht; er muß, um zu überleben, sterben.

Doch vielleicht rührt der Schrecken, den solche Autoren verkörpern, weniger vom Tod her, den sie erleiden, als vielmehr von dem Tod, den sie sich geben? Vom Tod jedenfalls sind sie gezeichnet; wenn sie schreiben, blickt er ihnen grimassierend über die Schulter. Und deshalb bleibt ihr Schreiben kalt und unerbittlich; festgelegt auf die kleine, die radikale Freiheit des abgeschlagenen Haupts.

(Autoren wie Diktatoren: die sind immer oben – auch wenn sie unten sind; sie stellen seit eh und je die rebellischen Faktionen, sie sind die Manager des Großen Terrors, für sie gilt, was einst Blanchot mit Bezug auf »die Tugend eines Robespierre, die Strenge eines Saint-Just« festhielt: »… sie begehren die absolute Freiheit, wissend, daß sie eben dadurch ihren Tod begehren; sie sind sich der Freiheit, die sie meinen, genauso bewußt wie des Tods, den sie verwirklichen. Schon als Lebende handeln sie daher nicht wie lebendige Menschen unter ihresgleichen, sondern wie wesenlose Wesen, Gedankenfiguren, reine Abstraktionen, die jenseits der Zeitgeschichte ihre Urteile und Entscheidungen treffen – im Namen der Geschichte schlechthin.«)

 

aus: Felix Philipp Ingold: Haupts Werk Das Leben
Ein Koordinatenbuch vom vorläufig letzten bis zum ersten Kapitel.

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