Traum zu Goethe

(Beinahe hätte ich auch diesen Traum vergessen: hier – bevor er abgeschrieben wird – ist er; unkorrigiert …) 

… gehn wir also gehn wir aus dem Hörsaal durch den deutschen Blätterwald hinüber zum Blockhaus das dem Autor seit kurzem denn seit Feyerabend darf an Universitäten nicht zuletzt gelacht am besten als persönlicher als Wohnsitz dient. Das Haus ist vom zahlreich erschienenen Publikum bereits umstellt. Durchs Blattwerk kann ich im Augenblick gespiegelt auf der Innenseite meiner Brillengläser die Repräsentanten sehn vereinzelt auch die Andern Diener Wahrsagerinnen Treiber Beamte Stromer Mädchen Händler. Und so ein langes schwarzes Seil dessen flauschiges Ende bis auf Kniehöhe über der Außenmauer herabhängt hin- und herab hin- und herab und das von Friederiken erst aus der Nähe betrachtet dann aus der Hocke befühlt betrachtet wie befühlt wird führt durch eine Wüste bis es sich im halb offenstehenden Balkentor zum Goethehaus verliert. (Denn was die Mitte bringt ist offenbar / Das was zu Ende bleibt und eingangs war:) So daß die Leser sich wohl denken wenigstens sich wünschen können – aller Anfang sei in Goethes Faust. Sich denken könnten welche Ströme vom Autor aus- und auf sie übergehn eigentlich doch müßten hätten sollen. Längst. Durch das leitfähige Gemisch gleitfähig aus Kamel- und Pferdehaar das Seil! Trägt wer ein weißes o Olympier ein Band der es berührt die’s hat! Zum Zeichen der – direkt, direkt – Verbundenheit eng um den Hals und vorn verschnürt … 

… habe von Goethe viel gelernt bevor mir jetzt Gelegenheit vielleicht sogar zu sehn. Gehört daß er dem Alkohol und wie  – fast schon erblindet! Daß er äußerlich dem österlichen Diwan zugetan und innerlich bald wieder abgefahren auf die spätere Kultur auf die Europa sei. Mit Lust zu Abend Land und eine Angetraute die in seinem Namen männiglich empfange Boten … 

… empfängt in dem Zimmer das der Autor als privates mehr als Arbeitszimmer. Steht den Dichter versehend der Sekretär der hält die Feder. Tag und Nacht die Feder feucht den Siegellack zur Hand. John Eckermann auf Sprung gleich beim geringsten Wort. An Ort zu sein der Stellvertreter. Und genau zu wissen wie es weiter wo im Text. (Dem Schüler expliziert Mephisto über dessen rechte Schulter: »Ja, die Feder wird ihm schwer. Ich ahme seine Handschrift täuschend nach. Man sieht kaum einen Unterschied. Die meinige ist nur etwas nervöser. Sie interessieren sich für Autographen! Unter uns, Sie könnten das, was ich Ihnen da aufschreibe, sehr teuer verkaufen. Man reißt sich um unsere Manuskripte.«) Da lob ich mir die Lust als Hosenrolle Haupt als Faust und nochmals Lust – ein Gretchen … 

… herrscht hier strengste Einfachheit. Auf einem niedrigen Lacktischchen liegen Goethes Megaphone und Diktiergeräte. Dazwischen halb verdeckt von einem der Trichter die in gelbe Seide eingeschlagene Schachtel mit den winzigen Holzstempeln wie sie vom mongolischen Schriftstellerverband als Gegengabe ausgehändigt werden. Neben dem Tischchen ein niedriger Lehnstuhl. Neben dem Lehnstuhl ein Bronzebecken für die Kohle. Neben dem Becken ein gußeiserner Ofen. An den Wänden Hakenkreuze tibetanische chinesische Embleme. (Die Inschrift aber hat nichts hinter sich / Sie ist sie selbst und muß dir alles sagen / Was hinterdrein mit redlichem Behagen / Du gerne sagst: Ich sag es! Ich!) Hinter dem Lehnstuhl ein kleiner Altar. Auf dem Altar eine Buddhafigur vor der zwei Talglichter glimmen. Am Boden wie eine dicke gelbliche Fettschicht der Teppich …

… betreten wir wenn wir eintreten gleich das Nebenzimmer. Denn zum Sinnen zum Diktieren braucht der Autor einen weitern einen Andachtsraum mit dumpferer Akustik. Die Jurte im Blockhaus das Zelt in der Korkzelle nun für den regelwidrigen doch regelmäßigen Aufschwung der Mediokrität hoch bis zur Ununterscheidbarkeit von Rede und Rezitation von Bezugsfigur und Schreiber Berichterstatter E. und Autor G. es sollte da wäre gewesen dieser Wunsch »kein Mensch« in fünf Schriften steht’s darf jenes eigentliche sein wattiertes Sprechzimmer betreten es sei denn. Ausgenommen der Selbst der Sekretär. Und sagt uns Schreiber der Dichter daß. Wie sei er »heute früh« und … 

… habe er sich mittags ins Sprechzimmer statt zu korrespondieren zog er sich ins Ich zurück. Und noch immer hört in diesem Augenblick wieder kann man das Diktat wenn man hinhört. Man kann den Rhythmus nicht die einzelnen Wörter und Sätze nur die Stimmen wie Goethe beim Dichten beim Schreiben Eckermann spricht. Doch nicht was worum es geht … 

… eine andere plötzlich die noch nie gehörte die Stimme mischt wird klar vernehmbar so erklären jedenfalls erklärt es so der Sekretär und Faust zitierend: »… Dieses Werk soll in einem eigens von mir ersonnenen Stil geschrieben sein, einem Stil, der es mir erlaubt, mit wunderbarer Leichtigkeit vom Bizarren zum Gewöhnlichen hinüberzuwechseln und umgekehrt, von der freiesten Phantasie zur äußersten Genauigkeit, von der Prosa zum Vers, von der plattesten Wahrheit zu den … zu den zerbrechlichsten Idealen …« 

… plötzlich zeigen Zeichen. Von Angst kommt Lust? Vor Zittern er wirft sich preßt das Ohr in den Teppich flach zu Boden bis. Flammt über der angelehnten Tür die Leuchtschrift auf HIS MASTER’S VOICE geht langsam kommt tritt er nun ein ein fetter alter solcher Kardinal ein Mann wie man ihn sich ganz protestantisch denkt. Mit ernstem glattrasiertem einem ganz tieftraurigen Gesicht trägt einen morgenländischen Talar aus gelbem und mit schwarzen Kordeln Seidenstoff für zwei … 

… stehn die Augen des Blinden weit offen. Goethe vor Entsetzen lacht sich in den Lehnstuhl fallen lassend zischt dem am Boden nach wie vor ein Hase starr in Z-Form kauert röchelt er vernehmlich – zischt dem Sekretär nun scharf ins Ohr er solle schweigen: »Was man nicht sagen kann, darüber muß man schreiben!« Los … 

(»… aufgewacht vor dem Diktat.« Also war es wirklich; ein Traum.) 

 

aus: Felix Philipp Ingold: Haupts Werk Das Leben
Ein Koordinatenbuch vom vorläufig letzten bis zum ersten Kapitel.

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