Gerhard Wolf: Zu Paul Flemings Gedicht „An Sich.“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Paul Flemings Gedicht „An Sich.“ aus dem Band Ich bin ein schwaches Both ans große Schiff gehangen. –

 

 

 

 

PAUL FLEMING

An Sich.

Sey dennoch unverzagt. Gieb dennoch unverlohren.
Weich keinem Glücke nicht. Steh höher als der Neid.
Vergnüge dich an dir / und acht es für kein Leid /
hat sich gleich wieder dich Glück / Ort / und Zeit verschworen.
Was dich betrübt und labt / halt alles für erkohren.
Nim dein Verhängnüß an. Laß alles unbereut.
Thu / was gethan muß seyn / und eh man dirs gebeut.
Was du noch hoffen kanst / das wird noch stets gebohren.
Was klagt / was lobt man doch? Sein Unglück und sein Glücke
ist ihm ein ieder selbst. Schau alle Sachen an.
Diß alles ist in dir / laß deinen eiteln Wahn /
und eh du förder gehst / so geh in dich zu rücke.
Wer sein selbst Meister ist / und sich beherrschen kan /
dem ist die weite Welt und alles unterthan.

 

Das beständige Gedicht

Es gibt Gedichte, die nicht altern, selbst wenn sie aus einer weit zuückliegenden Zeit kommen. Gedichte, die man zur Hand, die man im Kopf hat und zitiert, bei ganz aktuellen Vorkommnissen, aber in vergleichbaren, uns bedrängenden Situationen, sich seiner selbst zu versichern, eben diese unvergänglichen Verse skandierend: „Sei dennoch unverzagt…“. Verse, die nichts von ihrer Wirkung und Güte eingebüßt haben, sondern gerade durch ihr Herkommen von weither uns in gegenwärtigen Gefährdungen beistehen und ermutigen, Widrigkeiten und Bedrohungen in diesem Leben zu überwinden. Zweifellos ein Signum bleibender Dichtung. Denn dieses Gedicht aus großer Not mitten im alles verheerenden Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648 – also vor über 360 Jahren geschrieben – von Paul Fleming – 1609 geboren und schon 1640, also nur einunddreißigjährig, gestorben, veröffentlicht erst nach seinem Tode in der von Adam Olearius 1646 in Lübeck herausgegebenen vollständigen Ausgabe Flemings Teutscher Poemata, dortselbst in „Der Sonnetten Anders Buch / von allerley Glückwünschen“, Nr. 24, habe ich glücklichweise zur Hand mit seiner Orthographie in der eindrucksvollen Typographie dieser alten Drucke, berührt von der unvergleichlichen Authentizität.
Es versteht sich, daß man es in allen gültigen Anthologien deutscher Barocklyrik wiederfindet bis hin zum Buch deutscher Gedichte – der große Conrady von 2008, weil es in seiner essentiellen Substanz ganz dem Geist und der Empfindung seiner Zeit entspricht und zugleich genuin über sie hinausweist. Denn das Gedicht kommt aus der Epoche, in der von Länder- und Glaubens-Kriegen zerrissenen und verwüsteten Territorien, als das Wort Teutschland zum ersten Mal hoffnungsvoll und groß in Erscheinung tritt, bei Dichtern wie Rudolf Weckherlin, Johann Klaj, als Vaterland unvergeßlich bei Andreas Gryphius und in Flemings Elegie „An sein Vaterland“ eben mit dem aufkommenden Selbstbewußtsein, mit dem Dichter seitdem souverän – „dies alles ist in dir“ – mit sich selbst umgehn. Nicht mehr nur als Selbstermutigung wie noch Jahrzehnte zuvor – „ich hab’s gewagt mit Sinnen / Und trag des noch kein Reu“ – des Ulrich von Hutten, sondern in der Gewißheit – „Vergnüge dich an dir“ – selbst in Glück und Unglück, Leid und Verhängnis. Es ist die Zeit, in der deutsche Dichter, nach dem Muster der Übertragungen des Petrarca aus dem Italienischen, ihren Versen im Sonett gültige Form geben. Sonette, die bis heute in deutscher Lyrik geübt werden; trefflich und variationsreich unter direkter Berufung auf ihren Urheber Petrarca z.B. von Rainer Kirsch, der weit eingeweihter und geschulter als ich präzis nachweisen könnte, warum der Aufforderung im ersten Quartett die Gewißheit des Zuspruchs im zweiten Quartett erfolgt. Wie aus den sich entwickelnden, erwägenden Fragen der ersten die endgültige Antwort in der das Sonett abschließenden Terzine erfolgt als unumstößliche Erkenntnis aller Sachen dieser Welt.
Ein auch in seinem ästhetischen Bau – von Versmaßen und alternierenden Reimen gar nicht zu sprechen – grandios ausgeführtes Stück Poesie, das selbst sein Meister ist. Ein Zu-sich-selbst-kommen und Sich-seiner-gewiß-sein in Versen, wie ich es kaum wiederfinde. Ein Gedicht, das mich wie kein anderes immer wieder aufs Neue bewegt und auf die Lippen kommt, es aufzurufen, zu beherzigen und nachzusprechen.

Gerhard Wolf, aus Ich bin ein schwaches Both ans große Schiff gehangen. Die Lebensreise des Paul Fleming in seinen schönsten Gedichten. Herausgegeben von Richard Pietraß unter Mitarbeit von Peter Gosse, Projekte-Verlag Cornelius, 2009

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