Hans Arp und Fritz Usinger: Zu Hans Arps Gedicht „Ein großes Mondtreffen ist anberaumt worden. …“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Hans Arp Gedicht „Ein großes Mondtreffen ist anberaumt worden. …“ aus dem Band Hans Arp: Gesammelte Gedichte. Band 3. –

 

 

 

 

HANS ARP

Ein großes Mondtreffen ist anberaumt worden.
Monde und alles, was mit dem Mond zu tun hat,
werden sich da einstellen.
Mondquellen.
befiederte Monde,
Mondglocken.
weiße Monde mit diamantenem Nabel,
Monde mit Handgriffen aus Elfenbein,
winzige Mondlakaien, die über alles gerne
Polstermöbel mit kochend heißem Wasser begießen,
größenwahnsinnige Rosen,
die sich für einen Mond halten.
Weiße Monde, die schwarze Tränen weinen,
Mondanagramme, die beinahe ausschließlich
aus Anna bestehen
und denen nur einige Gramme
Mond beigefügt wurden.
Ein Mondkonglomerat von silbernen Zweigen,
das sich silbern weiterverzweigt
und an dem Mondfrüchte reifen.
Ein nackter Mond, wie alle Monde nackt,
jedoch mit einem Hut, an dem ein Feigenblatt
befestigt ist.
Altehrwürdige Mondeier
und darunter viele schrecklich verschimmelte
in Sfumatosänften.
Leider ist nicht alles Mond, was Silber ist.
Einige blümerante Unholde sind unter
den freßsäckenden Talmimonden,
die eine Schattenmatte um die andere Schattenmatte,
Riesentränen aus Pech,
und mit gleicher Lust die eigene Brut
verschlingen, verschlingen, verschlingen.
Doppelköpfige Monde,
Monde mit einem Nabel von gewaltiger Brisanz
und was sich darauf reimt wie
Glanz, Kranz, Vakanz, Byzanz, Hans.
Ja, auch Mondfahrer und Mondträumer,
wie ich einer bin,
werden sich zu dem Mondtreffen einstellen.

 

Hans Arp: Ein großes Mondtreffen

Das Unsichtbare zu gestalten ist, sich der Schöpfung zu nähern.
Ich hoffe, daß es mir geglückt sei, im Gedicht „Mondtreffen“ ein winziges dieses Unsichtbaren zu fassen.
Der Anlaß zu diesem Gedicht ergab sich, als Brigitte Neske mich fragte, ob ich für ihre geplante Anthologie Mondbuch ein Gedicht auswählen könne. Diese Idee regte mich an, eine ganze Serie von Gedichten dem Mond zu widmen.
Auch in meiner Bildnerei kommen die Anregungen oder Entschlüsse oft aus einem kleinen Anstoß. Ich bin zum Beispiel gar nicht unglücklich, daß hin und wieder eine meiner Skulpturen zerbricht. Unter diesen Bruchstücken sind oft erstaunliche Gebilde, die lebendiger sind als diejenigen, welche durch tagelanges Hobeln an meinem Gipsmodell entstanden waren.

Hans Arp, aus: Hilde Domin (Hrsg.): Doppelinterpretationen, Athenäum Verlag, 1969

Hans Arp: Ein großes Mondtreffen

Ein Mond-Gedicht… und doch keines. Zwar soll sich bei einem großen Mondtreffen alles einstellen, „was mit dem Mond zu tun hat“. Aber was hat nun alles mit dem Mond zu tun? Es sind Mondquellen, befiederte Monde, Mondglocken, Monde mit diamantenem Nabel, Monde mit Handgriffen aus Elfenbein und vieles andere, also Dinge, die mit dem Mond selbst gar nichts zu tun haben, weil es Dinge sind, die es gar nicht gibt. Es sind noch nicht einmal echte Mondassoziationen, weil sie sich gar nicht an reale Eigenschaften des Mondes anschließen. Denn hat der Mond etwas mit einem diamantenen Nabel zu tun oder mit elfenbeinernen Handgriffen oder gar mit Mondanagrammen oder Mondeiern? Nichts von alledem geht den am Himmel schwebenden Mond unmittelbar an. Er kümmert sich nicht darum. Er weiß davon nichts, und er will auch davon nichts wissen. Selbst wenn ein Dichter, und sei es ein großer Dichter wie Hans Arp (1886–1966), ihm das alles anbietet.
Was sich bei diesem großen Mondtreffen alles einstellt, das sind nicht der Mond und seine Mondbrüder von anderen Planeten, deren es eine Menge gibt, sondern es sind Mond-Wortspiele des Dichters, dichterische Akrobatik-Akte mit dem Wort Mond, deren Kunst gerade in ihrer Gefährlichkeit besteht, in ihrer Kühnheit, sich von ihrem letzten realen Halt möglichst weit zu entfernen, bis an die Grenze des Absturzes, und dann doch zu diesem Halt wieder zurückzukehren, als sei das alles gar nichts Besonderes gewesen, gar nichts Erstaunliches und zu Bewunderndes, wo es doch ein äußerstes Kunststück war.
Hans Arp arbeitet hier ganz frei mit Worten wie etwa ein Jongleur mit brennenden Fackeln. Sein Gedicht ist ein Wort-Akt, bei dem er versucht, wie weit er es mit dem Worte oder den Worten treiben kann. Hans Arp verletzt nie die Syntax des Satzes, er verletzt den Satz nicht und wirft nicht die Worte frei in den Raum. Arp ist kein Sprachzertrümmerer, sondern ein Sprachzauberer. Er beläßt die Worte in ihren Satzzusammenhängen, in ihren Bindungen, sozusagen an ihren Fäden. Er zerreißt diese Fäden nicht. Hans Arp spielt sein gewagtes Spiel, wie gesagt, nicht mit der Syntax, sondern mit dem Wortsinn. Er spielt mit dem Wort-Sinn, mit den Wort-Sinnen, er wirft sie durcheinander, bindet sie wieder in der unvorhergesehensten Weise, er jongliert mit den Wortbedeutungen und bekommt dadurch immer andere gleichzeitig in die Hand. Aber stets ist das Wort ,Mond‘ dabei. Es ist das einzige Wort, das repetiert, das immer wiederkehrt, denn darin besteht ja gerade seine Kunst, daß er bei diesem kühnen Spiel alles immer auf das Wort ,Mond‘ zurückbezieht. Es ist also ein Spiel mit dem Wort Mond, das sich himmelweit von dem realen Mond entfernt, das sozusagen gar nicht mehr an ihn denkt, sondern nur noch an das Wort Mond, zu dem immer neue Mit-Gegenstände hinzugeholt werden, um für einen Augenblick in diesem Spiel mitzuspielen. Denn gleich sind sie wieder verschwunden, und nur das Wort Mond bleibt, um in immer neuen Verbindungen, in immer neuen Zusammenhängen aufzutauchen.
Es ist nicht ein Mond-Gedicht im herkömmlichen Sinne, bei dem gewisse Eigenschaften des Mondes von neuem bestätigt werden. Hier ist nichts von Wolkenzug, Lautlosigkeit und Silberlicht zu merken. Auf diese Eigenschaften des Mondes nimmt der Dichter keinerlei Rücksicht. Er schaut gar nicht auf sie hin, er bemerkt sie gar nicht. Er schaut sogar von ihnen weg, ganz woanders hin. Er will gerade von diesen üblichen Mondeigenschaften absehen und ein unmondliches Gedicht machen. Deshalb ist auch dieses große Mondtreffen anberaumt worden, weil sich alles versammeln soll, was nicht unmittelbar auf den Mond Bezug hat. Sagen wir ruhig: Der Dichter dichtet, nicht über den Mond, sondern über das Wort Mond. Mit diesem Wort Mond stellt er die tollsten Dinge an, während er den Mond selbst ganz in Ruhe läßt und überhaupt nicht nach ihm hinschaut. Ein Wort-Gedicht also und kein Mond-Gedicht.
Und doch ist es nicht ganz nur ein Wort-Gedicht. Nachdem der Dichter die tollsten Mond-Kapriolen vorgeführt hat und mit einer besonders wilden schloß, indem er auf des Mondes „Nabel-Brisanz“ Reimwörter sucht und vorschlägt wie Glanz, Kranz, Vakanz, Byzanz und gar seinen eigenen Vornamen Hans, auch wenn es ein unreiner Reim ist, nachdem der Dichter, wie gesagt, dies alles getan hat, da taucht schließlich in den letzten drei Zeilen auch noch der gute alte Mond mit seinem uralten Mondzauber auf, und es heißt dort:

Ja, auch Mondfahrer und Mondträumer,
wie ich einer bin,
werden sich zu dem Mondtreffen einstellen.

Und das heißt wohl, daß der Mond in seinem stillen Glanz nicht vergessen ist, daß er wohl unmittelbar nicht gemeint war in diesem Gedicht, aber doch immer noch da ist, und daß ihm die Verehrung nicht entzogen wurde und daß der Dichter ihm eine zarte Liebeserklärung macht als „Mondträumer, wie ich einer bin […]“. Und diese leisen, ein wenig nebenhin gesagten Worte über den Mond, ganz am Ende des Gedichts, sind ein zärtlicheres Liebesbekenntnis, als wenn der Dichter eine lange Ode an den Mond präsentierte. Und so kann man zum Schlusse sagen, daß dieses Mond-Gedicht Hans Arps ein so schönes Mond-Gedicht ist, weil es eigentlich keines ist.

Fritz Usinger, aus: Hilde Domin (Hrsg.): Doppelinterpretationen, Athenäum Verlag, 1969

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