Helge Pfannenschmidt: Zu Jan Volker Röhnerts Gedicht „Ein Gedicht“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Jan Volker Röhnerts Gedicht „Ein Gedicht“ aus Jan Volker Röhnert: Metropolen. 

 

 

 

 

JAN VOLKER RÖHNERT

Ein Gedicht

Erst das Staunen,
dann kommen die Bilder,
dann denkst du dir eine fremde Zunge aus,
dann übersetzt du es,
Fetzen,
auf eine Rolle geklebt,
unter Quellwolken und Wind.

Die rote Katze im Wacholder,
eine Variation auf die Sonne
am Mittag erwacht
kopfschüttelnd, der Schläfer
sieht die Welt zum ersten Mal:
roter Zopfgummi im Nacken
roter Mantelsaum
Schritte wippend über Laub.
Alle Wege treffen sich
im Blau, eine Gestalt,
die du dem Gedanken gibst,
Teppiche voll Licht
von den Galerien zum Park
verfließend und genau: Sag
mir daß es endlos ist.

 

Sag mir, dass es endlos ist

Dieses Gedicht ist ein Gedicht. Sagt der Titel. Und das ist nicht nur ein Versprechen, das Jan Röhnert mit der ihm eigenen Leichtigkeit einlöst, sondern es kündigt auch an, was den Leser in den ersten Versen erwartet: eine hingetupfte Poetologie, die andeutet, wie sich die Welt in Gedichte übersetzen lässt.
Bei Jan Röhnert beginnt alles mit einem fast kindlichen Staunen, mit der Bereitschaft, sich ganz und gar an das Jetzt zu verschwenden und die Perspektive dessen einzunehmen, der – gerade erwacht – die Augen öffnet, blinzelt und „die Welt zum ersten Mal“ sieht. Oder träumt er noch? Und wenn ja, wäre das etwa weniger wert?
Eine Katze im Wacholder, ein Mantelsaum, ein roter Zopfgummi – für den, der sich mit der Entzauberung der Welt nicht abfinden mag, kann alles Offenbarung sein. Und alles korrespondiert miteinander. Jan Röhnert ist ein Dichter der Entgrenzung („alle Wege treffen sich im Blau“) und der profanen Wunder. Während andere die Weltformel in geheimen Dokumenten oder klandestinen Zirkeln vermuten, sucht sie das Ich, das in diesem Gedicht spricht, im Gang des Mädchens, das im Park spazieren geht, im wippenden Takt ihrer Schritte. Diese Poesie entzündet sich am Schönen, am Fremden und Geheimnisvollen.
Und auch das für Jan Röhnert so wichtige Verfahren der Bildmontage kommt zur Sprache. Tatsächlich ist der Schreibtisch hier gleichzeitig Schneideraum, das Gedicht ein „Film in Worten“ (Rolf-Dieter Brinkmann). In den „Fetzen, / auf eine Rolle geklebt“ wird aber nicht nur das Filmmotiv fortgeschrieben. Es blitzt auch die Idee eines universellen, alle Zeitalter umspannenden Gedichts auf, an dem der Autor lediglich weiterschreibt. Sag mir, dass es endlos ist.

Helge Pfannenschmidtaus Jens Kirsten und Christoph Schmitz-Scholemann (Hrsg.): Thüringer Anthologie. Weimarer Verlagsgesellschaft, 2018

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