Horst Bienek: Zu Peter Huchels Gedicht „Exil“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Peter Huchels Gedicht „Exil“ aus dem Band Peter Huchel: Gedichte. –

 

 

 

 

PETER HUCHEL

Exil

Am Abend nahen die Freunde,
die Schatten der Hügel.
Sie treten langsam über die Schwelle,
verdunkeln das Salz,
verdunkeln das Brot
und führen Gespräche mit meinem Schweigen.

Draußen im Ahorn
regt sich der Wind;
Meine Schwester, das Regenwasser,
in kalkiger Mulde,
gefangen
blickt sie den Wolken nach.

Geh mit dem Wind,
sagen die Schatten.
Der Sommer legt dir
die eiserne Sichel aufs Herz.
Geh fort, bevor im Ahornblatt
das Stigma des Herbstes brennt.

Sei getreu, sagt der Stein.
Die dämmernde Frühe
hebt an, wo Licht und Laub
ineinander wohnen
und das Gesicht
in einer Flamme vergeht.

 

Zwiesprache mit dem Schweigen

Peter Huchels Ruhm im deutschen Sprachbereich ist groß. Dabei hat er nicht sehr viel mehr als hundert Gedichte veröffentlicht. Er war weder ein Neuerer noch ein Avantgardist, kein Zeitkritiker. Eher bekannte er sich leidenschaftlich zur Tradition. Er war ein Dulder – und ein Moralist. Unbestechlich, integer, bescheiden, genau, menschlich wie künstlerisch. Er bewies auf exemplarische Weise, daß das Kleine groß sein kann, das Wenige viel und die enge Heimat die Welt. Immer wieder beschrieb er die Landschaft, aus der er kam, den Himmel, die Bäume, die Teiche und Seen der Mark, die Menschen, die dort lebten, ihre verborgenen Gefühle, die einfachen Dinge.
Vielleicht war es das, was seine Leser an ihm beeindruckte. Wo er auch auftrat, in den letzten Jahren, waren die Säle voll, Junge und Alte kamen, ihm zuzuhören, der da mit leiser, schon brüchig werdender Stimme las, das Haar schlohweiß und in die Stirn gekämmt, ein Cäsaren-Gesicht, auch im Greisenalter noch schön.
Huchel hat schon vor 1933 die ersten Gedichte veröffentlicht. Mit Wilhelm Lehmann und Elisabeth Langgässer könnte man ihn zu den Naturmagiern zählen. Im Dritten Reich lebte er in einer Art inneren Exil. Nach dem Krieg wurde er Programmleiter beim Berliner Rundfunk und übernahm bald die Chefredaktion der Zeitschrift Sinn und Form, mit der er Weltliteratur zwischen Ost und West vermitteln wollte und dies auch, trotz mancher Anfeindungen, bis 1962 durchsetzte. Dann wurde er gestürzt. In der DDR durfte nichts mehr von ihm gedruckt werden. Sein Haus wurde vom Staatssicherheitsdienst überwacht, die Besucher häufig abgewiesen, seine Ausreise in den Westen abgelehnt. Der Eingeschlossene von Wilhelmshorst. Das war er neun Jahre lang. Dann ließ man ihn gehen. Er lebte eine Zeitlang in Rom, danach in Staufen im Breisgau, wo er 1979 starb. Ein angesehener Preis für Lyrik trägt seinen Namen.
Das Gedicht „Exil“, etwa um 1966 entstanden, ist von schwermütiger, finster-magischer Sprachkraft; seine eigentliche und existentielle Dimension bekommt es vor dem Hintergrund der Biographie. Der Titel hat Signalcharakter, Die beschworene Landschaft bekommt sofort etwas Unheimliches, hinter jedem Wort steckt Bedrohung, hinter jeder Metapher lauert Verhängnis.
Exil heißt Alleinsein, Ausgestoßensein. Die einzigen Freunde, die sich am Abend im Haus einfinden, sind die Schatten der Hügel. Langsam treten sie ein, verdunkeln alles, die Dinge um einen herum, auch die Seele. Du willst fortgehen, aber du kannst nicht. Eher fällt das Ahornblatt. Der Stein, der beständige, rät nicht zum Weggehen. Und rät nicht zum Bleiben. Er sagt nur: Sei getreu. Dir selbst. Und so hält der Exilierte Zwiesprache mit seinem Schweigen, die ganze Nacht, bis in die Frühe, bis Licht und Laub vor dem Fenster eins werden und alles in der weißen Flamme des Tages vergeht. Nichts ist entschieden. Nichts verändert. Das Exil dauert an.
Kein Zorn, keine Empörung, nur Trauer, Schweigen, Stille und das Bewußtsein, sich selbst treu zu bleiben. So wie ein Stein ein Stein ist, eine Flamme eine Flamme, ein Ahornblatt ein Ahornblatt. Warten, bis die Stille laut wird, das Exil des Schweigens endet, die Schatten Wörter werden und die Wörter ein Gedicht. „Am Tag meines Fortgehens“, wird es später in einem anderen Gedicht heißen, „entweichen die Dohlen… ein eisiger Hauch fegt über die Tenne der Worte.“
Man kann das als eine Natur-Elegie lesen. Und dabei ist es ein eminent politisches Gedicht. Der lapidare Titel erinnert stets daran.

Horst Bienek, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Hundert Gedichte des Jahrhunderts, Insel Verlag, 2000

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00