Janus press

7 Jahre Janus press

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Delta der Lyrikverlage“

Im Delta der Lyrikverlage

− Gerhard Wolf im Gespräch mit Peter Böthig 1998. −

Peter Böthig: Von einigen Autoren der Edition außer der reihe hast Du ab 1991 weitere Bücher in Deinem eigenen Verlag Janus press verlegt. Wie kam es zur Gründung?

Gerhard Wolf: Mit der Währungsunion stellte sich heraus, daß der Aufbau-Verlag die Reihe außer der reihe nicht fortsetzen würde und sich von den Autoren verabschiedete. So stand also die Frage, wie macht man weiter?
Aus der Bürgerbewegung heraus hatte sich der Verlag BasisDruck gegründet, mit der Zeitung Die Andere. Die bekamen etliche ABM-Stellen und einige Computer gestiftet und konnten so produzieren. BasisDruck machte neben der Zeitung politische Bücher und Sachbücher. Wir trafen uns hier bei mir, und ich wurde gefragt, ob ich nicht in diesem Verlag die Belletristik machen wolle.
Ich hatte mich damals aber bereits entschlossen, selbst einen Verlag zu gründen. Christoph Links und ich, wir waren damals die ersten, die sich mit eigenen Verlagen ins Handelsregister der DDR eintragen ließen: LinksDruck und Janus press. Das war in der Modrow-Zeit, wo man erstmals Privatunternehmungen dieser Art gründen konnte. Später, nach der Währungsunion, mußte die ganze Prozedur wiederholt werden.

Böthig: Woher kam der Name „Janus press“?

Wolf:

der kopf des janus
blickt zurück
auf eine frühere
voraus
auf eine kommende
literatur
mit seinem
gegenwärtigen
gesicht
blickt er uns an

So stand es im ersten Prospekt, mit dem wir uns auf der Leipziger Buchmesse im Frühjahr 1991 vorstellten. Es sollten Anknüpfungspunkte und mögliche Perspektiven bezeichnet werden. Zu verstehen aus der Aufbruchstimmung dieser kurzen Zeitspanne…

Böthig: Wie wurde das Gesicht des Verlages gefunden, die Gestalt, mit der rotis-Schrift und der Kombination von Autoren und Malern?

Wolf: Es wurde eine bestimmtes ,Erscheinungsbild‘ gesucht. Es gab die Beziehung zu otl aicher, den wir kennengelernt hatten, als Christa in München den Geschwister-Scholl-Preis bekam, und den Martin Hoffmann, der Gestalter unserer Bücher, noch kurz vor der Wende besucht hatte. Im Mai 1988 waren wir in Rotis gewesen, und im Herbst 1989 hatte er uns in Mecklenburg besucht.
Eines der ersten Bücher war das von Carlfriedrich Claus und Franz Mon das wort auf der zunge – und bei diesem Buch haben wir das Layout-Konzept entwickelt. otl aicher hat bei diesem Buch noch dabeigesessen, und wir haben seine Anregungen aufgegriffen. Die schmucklose, serifenlose Schrift der „rotis semigrotesk“ schien uns sehr geeignet für diese experimentellen Texte. Bei der Textauswahl von Franz Mon hat Martin das sehr konsequent verwirklicht. Und schließlich konnten wir aichers Buch mit politischen Essays veröffentlichen, schreiben und widersprechen. das er nicht mehr selbst erleben konnte…

Böthig: Welche waren die ersten Bücher bei Janus press, und wodurch war die Auswahl bestimmt?

Wolf: Ich hatte natürlich den Wunsch, die Bücher zu machen, die man vorher nicht hatte machen können. Mit Carlfriedrich Claus hatte ich schon lange die Idee, ein Buch zu machen, angedacht war es sogar beim Buchverlag Der Morgen, wo zuerst mein Essay über Claus in einem Sammelband Mir scheint, der Kerl lasiert (herausgegeben von Joachim Walther) erschienen war.

Böthig: Das heißt, Du hast inhaltlich nicht nur bei außer der reihe angeknüpft?

Wolf: Nein, ich suchte nach einem neuen Ansatz. Ich wollte einerseits die jüngeren Autoren, soweit sie es wollten, weiterführen. Einige der Autoren, die ich außer der reihe vorgestellt hatte, gründeten ja zur gleichen Zeit den Galrev-Verlag Ich habe das nicht als Konkurrenz gesehen, mein Programm war weiter gespannt und anders gestaffelt; ich gab ja auch ,große‘ Bücher heraus. Im übrigen gibt es für uns beide keinen Markt, um dessen Anteile wir uns streiten könnten. Aber klar war auch, daß zum Beispiel ein Mann wie Papenfuß nicht nur bei einem Verlag veröffentlichen würde. Und so ist es bis heute. Ich hatte auch an andere aus diesem Kreis gedacht, die aber dann nicht weiterschrieben, wie Stefan Döring.
Aber zum Beispiel das flanzendörfer-Buch, das Du mit Klaus Michael herausgegeben hast, paßte gut in das Profil. Das war natürlich auch ein Risiko, einen Autor zu verlegen, der öffentlich gar nicht mehr präsent sein konnte, weil er sich 1988 das Leben genommen hatte, und zu appellieren an ein Talent, das man noch wahrnehmen sollte.
Autoren waren Bert Papenfuß, Jan Faktor, Gabriele Stötzer-Kachold und Gino Hahnemann. Heike Willingham hatte zum Herausgeber-Kreis des schaden gehört, sie hatte bis dahin nur ein kleines Künstlerbuch mit Micha Voges gemacht.
Zweitens wollte ich natürlich auf die Tradition der experimentellen Literatur hinweisen. Anknüpfungspunkt war hier Franz Mon, übrigens über Carlfriedrich Claus. Zu den Autoren der Wiener Gruppe suchte ich Verbindung wie mit dem Band Fuszspuren: Füsze. Róža Domašcyna beeindruckte mich mit ihrem ersten Manuskript.

Böthig: Wie sah die Zusammenarbeit mit BasisDruck konkret aus?

Wolf: Es war eine sehr lockere Zusammenarbeit. Wir konnten zunächst deren Technik nutzen, Martin Hoffmann ging nachts zu BasisDruck, um sich in die Computertechnik einzuarbeiten, bis wir selbst einen Macintosh anschafften. Und wir hatten einen gemeinsamen Vertrieb. Als BasisDruck die Zeitung Die Andere aufgeben mußte und sie kaum noch Bücher machten, haben wir uns getrennt.

Böthig: Man sah von Anfang an das literarisch anspruchsvolle Programm und den Mut zum Experiment. Das erste Janus press-Buch Zaungucker war von einer bis dahin völlig unbekannten Autorin – Róža Domašcyna.

Wolf: Zunächst war man euphorisch, selbst das machen zu können was man lange machen wollte. Man wollte drucken, wenn man wollte, die Bilder abbilden, die man wollte, und die Bücher sollten so aussehen wie man es wollte. Es war eine lustvolle Zeit des Beginnens… Und das Echo der Kritik war freundlich.

Böthig: Du hast mit vielen Deiner Bücher die Tradition der Künstler- bzw. Malerbücher aufgenommen. War das eine bewußte Anknüpfung?

Wolf: Selbstverständlich, bei uns gibt es fast kein Buch, in dem nicht Grafiken zum Text gestellt werden. Wir haben immer versucht, zu den Autoren einen Grafiker oder eine Grafikerin zu finden, manchmal auch den ersten Versuch verworfen. Die Idee war, die Intensität und Originalität der handgeschriebenen Künstler- und Malerbücher, die es in den letzten Jahre der DDR gegeben hat, Bücher mit Angela Hampel, Cornelia Schleime, Helge Leiberg, Ralf Kerbach, a.r. penck u.a. ins gedruckte Buch zu transponieren. Das ist uns ja bei vielen unserer Titel wohl auch gelungen, bei denen Autoren mit den Malern und Martin Hoffmann als Gestalter, dieser wieder mit der von ihm bevorzugten Druckerei Hilberts & Pösger, direkt zusammenarbeiteten. Sonst wäre eine Qualität wie bei den Büchern zum Werk von Carlfriedrich Claus mit der Reproduktion seiner grafischen Werke Aggregat K und Aurora wohl gar nicht möglich gewesen.

Böthig: Noch war ja, bis Ende 1991, das publizistische Image „Prenzlauer Bergs“ in Ordnung. Gab es damals einen Markt für diese Bücher?

Wolf: Das hoffte man schon noch. Aber zum Beispiel bei einem Buch wie unmöglich es leben von flanzendörfer haben wir gemerkt, daß es für die Szene, für die es bestimmt war, zu teuer war.
Wir gingen immer noch von einer absetzbaren Auflage 2.000 aus. Das war die Größenordnung von außer der reihe. Und das war bei diesen Büchern auch kein Problem, zumindest bei den ersten, die noch nicht in der „Wende“ untergingen. Der Papenfuß-Band dreizehntanz war sofort ausverkauft. Unsere Bücher waren so kalkuliert, daß sie sich gerade getragen hätten, wenn die 2.000 verkauft wären.

Böthig: Wieviele Exemplare wurden von flanzendörfers Buch eigentlich verkauft?

Wolf: Ich glaube, wir liegen jetzt bei 1200. Klar war allerdings von Anfang an, daß man Gewinne mit diesem Programm nicht machen konnte. Ich habe auch nie eine Mark aus dem Verlag herausgenommen, sondern nur hineingetan. Auch Martin Hoffmann arbeitete für ein Mindest-Salär.
Weil wir zu Hause arbeiteten, entfielen wesentliche ,fixe‘ Kosten, die einen kleinen oder mittleren Verlag sonst sehr belasten. Anders wäre solche Verlagsarbeit gar nicht möglich gewesen. Das läßt sich aber bei inzwischen 50 Titeln im Programm nicht mehr durchhalten.

Böthig: Du hast auch, Deinen Verleger-Intentionen folgend, sehr teure Bücher gemacht, mit vielen Abbildungen und mehrfarbig gedruckt…

Wolf: Die großen Bücher mit Carlfriedrich Claus, die schon in der Herstellung mindestens 70.000 Mark kosten, konnten wir nur machen im Zusammenhang mit Ausstellungsprojekten, wo man große Anteile, bis zu zwei Dritteln oder mehr, durch den Veranstalter der Ausstellung bezahlt bekam. Allerdings haben wir immer noch zugezahlt. Wer macht auch sonst so aufwendige Bücher? Auch die Künstlerbücher, wie die von Angela Hampel, Oskar Manigk oder Martin Hoffmann, waren mit Ausstellungsprojekten oder Zuschüssen über die Künstler verbunden.
Von heute gesehen, war das oft auch illusionär. Wenn man ein Verlagshaus hätte aufbauen wollen, was ich aber in dem Sinne gar nicht wollte, hätte man sortieren müssen, nach der ,Ware‘, die man verkaufen kann und der, die man unbedingt machen will.
Aber Bücher wie die mit Carlfriedrich Claus, mit Helge Leiberg und mit a.r. penck sind auf lange Sicht gemacht, sie sind jetzt da. Das war schon einen Einsatz wert.

Böthig: Wie war die Resonanz in den Literaturfeuilletons?

Wolf: Wir haben oft sehr gute Besprechungen bekommen, aber für den Verkauf hilft das nicht sehr viel. Die Aufmerksamkeit für die DDR-Literatur brach bald vollständig zusammen. 1990 war bei Text & Kritik der Band Die andere Sprache erschienen, der ein ganzes Interessengebiet begründete, eben die andere noch nicht erschienene Literatur aus der DDR. Damals hatte ich noch geschrieben, daß Verszeilen vorbereitet hätten, was dann auf den Tribünen und Demonstrationen zur Sprache kam. Nach der „Anderson-Enthüllung“ brach das aber ab. Heute verläuft vieles nach den Kampagnen der großen Medien.
Die Interessenten im ,Westen‘ zu erreichen, ist für einen Verlag unseres Programms schwierig, im ,Osten‘ fehlte das Geld.

Böthig: Trotzdem hast Du Dich entschlossen, von Papenfuß eine Werkausgabe zu beginnen.

Wolf: Auch das ist auf längere Sicht gedacht. Im Moment ist die Ausgabe erst einmal unterbrochen. Man muß überlegen, wie man es weiterführt. Eine solche Edition ist natürlich eine rein verlegerische Tat, sie zielt inzwischen überhaupt nicht mehr auf ein Publikum. Wenn man alle Bücher von Papenfuß zusammen sieht, auch seine selbst verlegten, steht da ein Werk, das ziemliche Bedeutung besitzt, und ich bin froh, daß er jetzt den Erich-Fried-Preis bekommen hat, Volker Braun die Laudatio hält. Da kommen Generationen aufeinander zu.

Böthig: Ausgaben wie die von Bert Papenfuß oder Franz Mon können doch nur ,Non-profit‘-Unternehmungen sein?

Wolf: Das war klar. Andere gründen Stiftungen, ich gründete mit Christa den Verlag. Ich selbst bin ja Rentner und bekomme durch Zufall eine ganz anständige Rente.

Böthig: Ihr habt auch einen Verein gegründet zur Unterstützung des Verlags?

Wolf: Solche ,flankierenden Maßnahmen‘ kamen leider erst später. Wir wollten Interessenten für den Verlag gewinnen. Und man konnte für Lesungen etc. Gelder aus öffentlichen Mitteln beantragen. Als Mitarbeiterin für Christa Wolf und den Verlag gewannen wir Christina Schönau.

Böthig: Ich will auf die Strukturen zurückkommen. Wie gestaltete sich die Arbeit mit den Vertretern und den Buchhandlungen?

Wolf: Solche Aufgaben wie Öffentlichkeitsarbeit, Lesungen, Werbung usw. sind von kleinen Verlagen überhaupt nicht zu bezahlen. Eine Zusammenarbeit, vor allem für den Vertrieb, mit größeren Verlagen, wie dem Luchterhand Verlag oder Volk & Welt, war überlebensnotwendig.

Böthig: Du warst also stets auf der Suche nach Kooperationen?

Wolf: Von heute aus gesehen, muß man sagen, daß dem Verlag der ständige Wechsel nicht gut bekommen ist. Zunächst hatten wir Vertreter und Vertrieb mit BasisDruck gemeinsam, dann mit dem Luchterhand-Verlag, dann mit Steidl, schließlich wieder mit Volk & Welt und Luchterhand.

Böthig: Warum dieser häufige Wechsel?

Wolf: Das hatte auch mit Christas Verlagssituation zu tun. Luchterhand stand vor dem Konkurs und wurde im letzten Moment durch Dietrich von Boetticher noch gerettet, so daß sich auch mir die Chance bot, mit diesem größeren Verlag zusammenzuarbeiten.

Böthig: Seit wann hast Du auch Grafik verlegt, zum Beispiel die jährlichen Kalender von Angela Hampel?

Wolf: Das war von Anfang an da. Angela Hampel hatte einen solchen Kalender zu DDR-Zeiten für ihre Freunde hergestellt, und ich sagte mir damals, so etwas müßten wir im Verlag machen, allerdings kombiniert mit Texten. Es ergab sich daraus ein gute Zusammenarbeit, ich schlug ihr Texte vor, oder sie suchte selbst welche heraus und macht Grafiken dazu.
Es gründeten sich damals eine ganze Reihe kleiner Galerien, wo wir diesen Kalender verkaufen konnten. Aber der Absatz ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen, viele der kleinen Galerien sind weg, und die Heutigen müssen viel stärker rechnen als damals in den Übergangszeiten.

Böthig: Ist aus diesem Kalender die Reihe der Grafik-Editionen entstanden?

Wolf: Das begann mit Vorzugsausgaben. Bereits bei das wort auf der zunge haben wir eine Vorzugsausgabe mit einer Grafik von Carlfriedrich Claus und einer Collage von Franz Mon gemacht, die inzwischen übrigens nahezu vergriffen ist. Aus Anlaß des 65. Geburtstags von Christa Wolf haben wir eine Grafikmappe gemacht mit 19 Grafikern in einer 60er Auflage, von denen wir 40 sofort verkauft haben. 2.000 Mark waren natürlich auch ein günstiger Preis. Bei dieser Mappe wollte ich mit de bekannten Namen und einigen Freunden auch einige junge Künstler bekanntmachen und fördern. Das haben wir wiederholt mit Medea altera, und dann kam die Mappe mit Günther Uecker hinzu. Und jetzt als ,Krönung‘ – die Sammlung Natur-Gestalten mit Graphiken von 30 Künstlern…

Böthig: Wie ist die Zusammenarbeit mit Günther Uecker entstanden?

Wolf: Das war ausgegangen von einem Text, den Christa geschrieben hatte zu einer Günther Uecker-Ausstellung in der Galerie Erker in St. Gallen: Nagelprobe. Uecker meldete sich dann etliche Zeit später und fragte an, ob wir nicht einmal etwas zusammen machen wollten. Ich habe ihn aufgefordert, sich an der Medea-Mappe zu beteiligen und er kam gleich mit fünf Kupferplatten. Das hätte die Medea-Mappe natürlich gesprengt, und so ist daraus eine eigene Edition geworden mit 12 Radierungen.
Möglicherweise werden wir demnächst ein weiteres Projekt gemeinsam machen, Zeichnungen zu einem Text von Christa: Wüstenfahrt.

Böthig: Franz Mons Gesammelte Texte ist die zweite Werkausgabe in Deinem Verlag; ist das eine Art Spurensuche?

Wolf: Es gab in der Wende-Zeit in Chemnitz, damals noch Karl-Marx-Stadt, die erste große Ausstellung von Carlfriedrich Claus, übrigens noch aufgrund des Kulturabkommens BRD – DDR, die dann in Münster und weiteren westdeutschen Großstädten gezeigt wurde: Erwachen am Augenblick. Damals wurde die Freundschaft zwischen Claus und Mon, die sich bereits seit langem Briefe geschrieben hatten, erneuert.
Franz Mon war auch mir natürlich kein Unbekannter, und so entstand zunächst die Idee zu dem gemeinsamen Buch beider: das wort auf der zunge. Da der Kontakt weiter ging, waren wir beide froh, eine Edition verstreuter oder nicht mehr greifbarer Texte bei Janus press machen zu können.
Von den experimentellen Autoren der alten Bundesrepublik waren einmal viele bei Luchterhand: Heißenbüttel, Jandl, Mayröcker, Rühm und Mon. Klaus Ramm war ihr Lektor. Nach 1968 wurde diese schwer verkäufliche experimentelle und auch die politische Literatur dort beerdigt. Heißenbüttel fand zu Klett-Cotta, Rühm zum Rowohlt-Verlag, aber Mon hatte, außer den Editionen bei Klaus Ramm, keinen Verlag gefunden.

Böthig: Ich will Dich nach der Edition Pixis fragen, die seit 1996 deinen Verlag flankiert. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Wolf: Christian Pixis war vertraut mit der Literatur vom Prenzlauer Berg und hatte die Idee für eine Reihe, die er von München aus machte, die ausschließlich ausländische Autoren bringen sollte. Ich fand das sehr bereichernd. Er begann mit kleinen Auflagen, die gut kalkuliert waren und die zum Teil bereits vergriffen sind. Dieses Programm ist weitgehend aufgegangen.

Böthig: Habt Ihr einen Kooperationsvertrag gemacht, oder wie sah das aus?

Wolf: Eine Vereinbarung, daß er unseren Apparat benutzen konnte, Vertreter, Auslieferung, Werbung, Prospekt. Das war so organisiert, daß wir keine zusätzlichen Kosten hatten, er aber sozusagen mitschwimmen konnte im Janus-Boot. Ich glaube, daß ihm das sehr gut gelungen ist. Auch die Reihen-Idee ist aufgegangen. Er hatte auch richtige Erfolgstitel dabei, den Jean Giono und den Brian Gysin, die beide sehr gut besprochen worden sind und ihre Käufer fanden…

Böthig: Würdest Du einen solchen Verlag wie Deinen heute noch einmal hinstellen können und wollen?

Wolf: Der Verlag ist wirklich ein Produkt dieser „Wende- und Umbruchszeit“ damals, und der ganzen dazugehörenden Euphorie. Heute müßte man ja zuerst den Vertrieb organisieren und dann erst produzieren. Bei uns lief das genau umgekehrt, aber es war das, was mich eigentlich interessierte.
Mein Hauptaugenmerk war und ist, daß die Autoren weite arbeiten und publizieren können. Das haben wir auch eingehalten, Autoren wie Róža Domašcyna, Jan Faktor oder Bert Papenfuß haben Preise und Stipendien bekommen, sie haben sich inzwischen längst einen Namen gemacht. Die Autoren brauchen die Bücher, um bekannt zu werden und um gute Kritiken zu bekommen, aber das fördert nicht unbedingt einen höheren Absatz oder bringt gar Gewinn.

Böthig: Wie siehst Du die Zukunft solcher kleinen Verlage wie Janus press?

Wolf: Eine Chance wäre, wenn sich die großen Häuser interessieren würden. Damals ganz zu Anfang hatte ich die Hoffnung, daß zum Beispiel die Büchergilde Gutenberg, die früher mit Reclam kooperierte und die gut gemachten Kunstbücher von Marquardt in Auflagen übernahm, einen potentiellen Kundenkreis erschließen könnte. Aber die großen Verlage, das ist meine Bekümmernis, leisten sich die sogenannten experimentellen Bücher gar nicht mehr. So bleibt es eben kleinen Verlagen vorbehalten, die mit Selbstausbeutung arbeiten, Bücher zu veröffentlichen, die sonst niemand macht.

Böthig: Also die Nischenverlage wird es nur noch geben, wenn große Häuser dahinter stehen?

Wolf: Nein, es wird sie weiter geben, und sie werden auch ab und an Treffer landen, aber es wird schwieriger. Andere Modelle siehst Du zum Beispiel bei Galrev oder am Erfolg von Steidl, wo sich ein potentes Druckhaus auch eine Abteilung für eigene literarische Publikationen leistet.

Böthig: Hast Du das Gefühl, mit Deinem Verlag auch regelrechte Entdeckungen gemacht zu haben?

Wolf: Ja, auf jeden Fall Róža Domašcyna. Sie hatte ein Manuskript geschickt, das nicht mal experimentell angelegt war, aber wo ich sofort spürte, das ist eine Dichterin. Sie hat inzwischen ihren Weg als Autorin gemacht.
Vielleicht hätten wir überhaupt unsere eigenen Möglichkeiten als Autoren und Herausgeber noch stärker ,einbringen‘ müssen, wovor man sich ja eigentlich scheute, denk nur an Antons liebste Wort-Spiel-Verse, in dem sich experimentelle Lyrik gesehen mit den Augen und im Zusammenspiel mit den Zeichnungen eines Kindes in ganz anderem Licht zeigt…

Böthig: Daneben erschienen „Materialbücher“, in denen erstaunliche Entdeckungen stecken…

Wolf: Wir haben die Dokumentation Gegenbilder über die Filmunderground-Szene der DDR gemacht und das Experimentalbuch zu Arnold Dreyblatts großer Performance WHO’s WHO in Central and East Europe 1933. Und das Buch zu unserer in vielen Städten gezeigten Ausstellung Unsere Freunde, die Maler erschien sogar in einer zweiten Auflage, vom Erfolg des materialreichen Bandes Christa Wolfs Medea nicht zu reden.

Böthig: Und wie siehst Du die Zukunft experimenteller oder am Experiment orientierter Poesie?

Wolf: Es wird weiter vereinzelte Autoren geben, die da anknüpfen. Aber generell sehe ich nicht, daß sich die nächste Generation etwa an experimenteller Poesie interessiert zeigt. Die orientieren sich hier und da, an der Moderne und den Avantgarden, aber ich sehe im Moment keine neue Richtung, wo sich etwas sammeln würde. Das wäre dann vielleicht auch nicht mehr meine Sache.

Böthig: Siehst Du auch ein neue Politisierung in der Kunst, wie zum Beispiel an der Berliner Volksbühne, die aber von vorn herein stark medialisiert ist?

Wolf: Ich behaupte ja nach wie vor, daß die Prenzlauer Berg-Poesie durchaus politisch intendiert war, nicht in der Proklamation, aber in dem, was da poetisch und gesellschaftspolitisch ablief. Gebündelt hat diese postmoderne Poesie Durs Grünbein, der aber auch schon eine ganze Reihe neuer poetischer Aspekte aufgenommen hat.

Böthig: Vielleicht gibt es zur Zeit auch eine Phase des Durchatmens…

Wolf: Vielleicht muß sich jetzt erst wieder etwas herausbilden, zum Beispiel aus einer öffentlichen Vision oder auch Illusion des Europäischen. Oder aus einer kritischen Haltung dazu. Vielleicht werden sich daraus ganz neue Strömungen und künstlerische Ansätze entwickeln. Aber das kann man jetzt noch nicht genau wissen.

aus: Peter Böthig (Hrsg.): Die Poesie hat immer recht, Janus press, 1998

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