Kostas Karyotakis: … die Tat zu verschieben

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Kostas Karyotakis: … die Tat zu verschieben

Karyotakis/Iliakis-… die Tat zu verschieben

BALLADE AUF DIE EWIG RUHMLOSEN DICHTER

Von Menschen gehaßt, von Göttern verachtet,
wie alte Fürsten gestürzt und verbittert
verwelken die Verlaines: ihnen bleibt der Reim
reichlich und silbern als Reichtum übrig.
Die Hugos mit ihren „Les Châtiments“
berauschen sich am furchtbaren Zorn der Olympier.
Ich aber werde eine Ballade der Trauer
den Dichtern widmen, die ruhmlos sind.

Und wenn die Poes auch unglücklich waren
und die Baudelaires lebten als Tote,
die Unsterblichkeit ist ihnen geschenkt.
Niemand freilich schildert ihr Leben,
und eine schwere Finsternis bedeckt
der Verse Schöpfer, die ungeehrt dichten.
Ich aber bringe als heilige Gabe
eine Ballade den ruhmlosen Dichtern.

Der Menschen Verachtung bedrückt sie,
doch schreiten sie voran, ungebeugt und blaß,
ihrer tragischen Täuschung erlegen,
daß in der Ferne der Ruhm sie erwarte,
keusch und zutiefst freundlich.
Aber im Wissen, daß sie alle vergessen,
beweine ich traurig in meiner Ballade
die Dichter, die ruhmlos sind.

Und irgendwann in künftigen Zeiten
sollen die Menschen einander sich fragen,
welch ruhmloser Dichter die magere Ballade
auf die Dichter schrieb, die ruhmlos sind?

 

 

 

Der Dichter Kostas Karyotakis

und der „Karyotakismus“ in der neugriechischen Dichtung

In der neugriechischen Literatur des 20. Jahrhunderts spricht man, vor allem im Bereich der Dichtung, immer wieder von einem Phänomen, das eigentlich weder eine ästhetische noch eine poetische Kategorie darstellt. Gemeint ist damit vielmehr die Wirkung und der Einfluß eines bestimmten Dichters auf seine Epigonen. Dieser Dichter, von dem hier die Rede ist, heißt Kostas Karyotakis, seine vor allem posthum entfaltete Wirkung wird „Karyotakismus“ genannt.
Kostas Karyotakis lebte in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts (geb. 1896 in Tripolis auf der Peloponnes, gest. 1928 in Prevesa im Epirus). Als zweites Kind einer Beamtenfamilie verbringt er seine Kindheit in verschiedenen Städten der damals sehr rückständigen griechischen Provinz. Er ist ein kleiner, schwacher und bleichgesichtiger Junge, der bei den ständigen Versetzungen des Vaters nie die Möglichkeit hat, Freundschaften mit Gleichaltrigen zu schließen. So ist er von Anfang an ein sehr introvertiertes Kind. Auch die typische Struktur der Beamtenfamilie mit der allgegenwärtigen Autorität des Vaters, dem zwanghaften „korrekten“ Benehmen und den entsprechenden Verdrängungsprozessen spielen für die Ausbildung seiner Persönlichkeit eine wichtige Rolle. Wie wir aus den Biographien anderer Dichter wissen, sucht eine solche Introvertiertheit oft einen Ausgleich in einer literarischen oder künstlerischen Betätigung. So ist es jedenfalls beim jungen Karyotakis, der mit sechzehn Jahren seine ersten Verse veröffentlicht. Als junger Mann, der unter seinem kränklichen Aussehen sehr leidet, hat er mit allerlei Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Liebe und das Verliebtsein wird ihm mehr oder minder zu einer tragischen Angelegenheit.
Bei solchen Problemen und innerhalb einer Gesellschaft, die auf Sensibilität nicht entgegenkommend, sondern eher grob und roh reagiert, bleibt dem jungen Dichter nur die Flucht nach innen und der Aufbau eines Schutzschildes aus Zynismus, Spott und Satire als einzige Gegenwehr. Karyotakis wendet seine Waffen konsequent an, nicht nur gegen die anderen und die Gesellschaft, sondern auch gegen die eigene Existenz. Das lassen schon die ersten Gedichte erkennen, und diese Elemente begleiten ihn in seinem ganzen Werk (vgl. z.B. das Gedicht „Edelmut“).
Ein Jurastudium eröffnet ihm den Weg zu einer Beamtenkarriere. Karyotakis ist mit seinem Werdegang jedoch keinesfalls zufrieden. Nicht nur die Reglementierungen des beruflichen Alltags, sondern auch die gesamtgesellschaftliche Situation im damaligen Griechenland bereiten diesem sensiblen Menschen Probleme. Der Dichter reagiert und distanziert sich zunächst von den Megalomanien und den kläglichen Niederlagen der griechischen Armee in Kleinasien 1922. Schließlich beantwortet er sie mit Bitterkeit, Spott und Zynismus (vgl. z.B. „Don Quijotes“). Gleichzeitig gräbt er sich in seiner Schwermut ein und fördert seine eigenen seelischen Qualen zu Tage (vgl. „Ideale Selbstmörder“ und „Wir ähneln…“).
Durch die ständigen berufsmäßig bedingten Versetzungen lernt Karyotakis die Provinz kennen und leidet unter den Wirkungen des eigenen Fatalismus (das Gedicht „Prevesa“ aus dem Nachlaß ist der beste Beleg dafür). Es gibt zudem Anzeichen für eine Syphiliserkrankung. Die Liebe zu der jungen und aufgeschlossenen Dichterin Maria Polydouri trägt keine Früchte. Gefangen im eigenen Sarkasmus ist Karyotakis zur Liebe nicht fähig. Er flüchtet und bereist Deutschland, Italien, Rumänien und Frankreich. Er sucht Heilung und gerät dabei in noch größere Verzweiflung. Sein ganzes privates Drama drückt sich eindrucksvoll in seinen Gedichten aus, die vor allem wegen des persönlichen und innigen Tons von der jungen Generation geliebt werden. Karyotakis wird, ohne es zu wollen und vielleicht gerade deshalb, zu ihrem Sprachrohr. Letztlich ist die Jugend fasziniert von seinem konsequenten Handeln angesichts des eigenen Unglücks. Er wird zum Nihilisten, dem das eigene Leben unmöglich und unwürdig erscheint, da er keinen Ausweg aus der Misere findet und diesen auch nicht finden will. Die Konsequenz heißt in diesem Fall Selbstmord.
Karyotakis nimmt sich nach einem verzweifelten nächtlichen Kampf das Leben, wobei er in dieser (leider nicht verschobenen) Tat den höchsten Befreiungsakt sieht. Gerade diese Form der „Befreiung“, die der Dichter erst vollzieht, nachdem er Melancholie und Zynismus auf individueller und sozialer Ebene vollständig genossen hat, begründete jenes Phänomen, das als „Karyotakismus“ in die griechische Literaturgeschichte eingegangen ist. In diesem Sinn ist darunter die unspektakuläre Abkehr vom Leben zu verstehen, eine antiheroische und antiidealistische Haltung. Das Ruhmlose, das Nichtige, das Lächerliche haben thematisch den Vorrang, und der Protest entwickelt sich zum Sarkasmus. Auf die Verzweiflung und die Kultivierung der Schwäche, die Dekadenz schlechthin, ertönen im Karyotakismus regelrechte Lobeshymnen.
Der Karyotakismus entwickelt sich zur Mode. Ähnlich der Tradition des Athener Romantizismus des 19. Jahrhunderts, versuchen die jungen Dichter dem „großen“ Karyotakis nachzueifern. Es ist erstaunlich, wieviele Dichter der nachkommenden Generationen zumindest in ihren ersten Werken dieser Haltung folgen. Nur wenige schaffen es, sich davon zu befreien und innovativ zu wirken. Somit steht der Karyotakismus auch für den Einfluß des Dichters auf einige Künstler, die sich später eigenständig durchsetzen, wie die Beispiele Seferis, Ritsos und Vretakos zeigen. Dieser Einfluß und die Faszination von Kostas Karyotakis hält noch heute an. Umso erstaunlicher ist es, daß es bis auf einen kleinen Band mit Prosatexten, der im Residenz-Verlag erschienen ist, bisher keine deutschsprachigen Karyotakis-Ausgabe gibt. Mit diesem Buch wird zum ersten Mal eine umfassende Werkübersicht Karyotakis’ in deutscher Sprache vorgelegt. Kostas Karyotakis ist gewiß nicht der „große“ griechische Dichter des 20. Jahrhunderts, seine Wirkung und sein Einfluß haben jedoch den jüngeren Dichtern den Weg zu einer neuen Sensibilität für die skeptische Heiterkeit eröffnet.
Die Titel „Symbole“, „Don Quijotes“, „Edelmut“, „Die Freiheitsstatue…“, „Delphisches Fest“, „Kritik“, „Wir ähneln…“, „Ideale Selbstmörder“, „Der Lobgesang des Meeres“, „Katharsis“ und „Prevesa“ sind in der Zeitschrift SIRENE 1/88 erschienen. Dies war überhaupt die erste Veröffentlichung von Karyotakis’ Gedichten in deutscher Sprache.

Costas Gianacacos , Nachwort, Mai 1999

 

„Eine Nacht ohne Dämmerung mein Leben.“

Kostas Karyotakis selbst ist es zeit seines Lebens nicht gelungen, aus der Dunkelheit seines abgrundtiefen Skeptizismus auszubrechen. Seinem literarischen Werk hingegen war – wenn auch posthum und fast ausschließlich auf Griechenland beschränkt – ein deutlich besseres Schicksal vergönnt. Repräsentative Ausschnitte seiner Prosa, vor allem aber eine umfassende Übersicht über sein dichterisches Werk sind mit dem vorliegenden Band nun zum ersten Mal auch in deutscher Sprache zugänglich. Kostas Karyotakis (1896-1928) hat trotz der wenigen Jahre seines Wirkens zahlreiche Dichter der griechischen Moderne beeinflußt. Als wesentlicher Repräsentant der poetischen Bewegung der 20er Jahre, die von den politischen Niederlagen und Wirren Griechenlands in jener Zeit maßgeblich geprägt wurde, verstand es Karyotakis wie kein anderer seine Dichtung zu einer Arena zu verwandeln, in der sich die Lebenssehnsucht der jungen Generation mit dem Gefühl der Vergeblichkeit einen unerbittlichen Kampf liefern. Dieser Konflikt ist bei Karyotakis nicht auf den geistigen Ausdruck der Dichtung beschränkt, sondern eminent persönlich: Im Alter von gerade mal 32 Jahren nahm er sich das Leben und löste damit literarisch eine Welle dekadenter Lebensphilosophien aus, deren Grundstimmung Hoffnungslosigkeit war. Hinter den hier versammelten Gedichten steht ein Lyriker von großer Begabung. Schon als 20jähriger verstand es Karyotakis, dem Gefühl von Leere die sprachlich und formal adäquate Gestalt zu geben. Kennzeichnend für seinen Stil sind Bitterkeit und Sarkasmus im Ton, Ironie in den sprachlichen Wendungen und die Aufhebung der tradierten dichterischen Konturen. So ergibt sich das zum Inhalt passende Paradox großer Schärfe und Klarheit im Ausdruck einerseits und Auflösung der Form andererseits. Seine Themen drehen sich immer um das Vergebliche, Unbedeutende, Ruhmlose, ja auch Lächerliche, wie insbesondere in seinen späten Arbeiten deutlich wird. Sämtliche Themen finden sich auch in Karyotakis’ Prosatexten – Parabeln und Erzählungen in der Regel – wieder. Ausweglosigkeit, beißende Ironie, ja ein vorweggenommener Kafkaismus haben Karyotakis auch in diesem Genre einen Ehrenplatz in der Ahnengalerie der griechischen Literaturgeschichte beschert.

Romiosini Verlag, Ankündigung

 

Die Dichter und das Meer

Am 20. Juli 1928 hatte der griechische Dichter Kostas Karyotakis genug. Die Strafversetzung vom lasterhaften Athen an die westgriechische Provinzküste bei Preveza tat ihre Wirkung. Er haderte mit dem tumben Landvolk und seinem frustrierenden Bürogehocke. Der elegische Paria- und Opiumesser, dessen luzid-surreale Lyrik – durchaus verwandt mit jener von Rimbaud und Baudelaire – wenige Jahre später Mikis Theodorakis zu seiner ersten Oper Die Metamorphosen des Dionysos inspirierte, beschloss an jenem Tag, sich in einer besseren Welt zu vertiefen. Gegen Mitternacht blickte er hoch zum Diamantenglanz des ionischen Sternenhimmels, bekreuzigte sich – auch Atheisten haben ihre Marotten – und stürzte sich an der stadtnahen Küste von den Felsen. Stundenlang und lautlos zog sich der Kampf mit den Wellen dahin, bis im Morgengrauen ein flanierender Bauer dem Poeten aus dem phosphoreszierend leuchtenden Meer half. Karyotakis sammelte mehr verärgert als dankbar seine Kleider auf, wärmte sich in einem schmucklosen Kafenion auf, verlangte dort nach Papier und Tinte und aktualisierte den Abschiedsbrief an seine Geliebte

Ich rate all jenen, die schwimmen können, niemals zu versuchen, sich im Meer das Leben zu nehmen. Letzte Nacht habe ich zehn Stunden lang mit den Wellen gekämpft. Ich habe viel Wasser geschluckt, aber mein Mund gelangte, ich weiß nicht wie, immer wieder an die Oberfläche. Sicher werde ich, wenn mir die Gelegenheit dazu gegeben wird, einmal über die Eindrücke eines Ertrunkenen schreiben.

Dieser Gelegenheit beraubte er sich wie auch der Nachwelt. Zunächst schlug am Nachmittag ein weiterer Suizid aufgrund einer mustergültig gesicherten Pistole fehl. Nach einem Fachgespräch mit einem waffenkundigen Bürger ging der Dichter zurück zum Strand, legte sich unter einen Eukalyptusbaum, flüsterte: „Ich erschieße die Zukunft“, zielte auf das Herz, traf und starb.

(…)

Wolf Reiser, mare, Heft 107, Dezember 2014

 

Fakten und Vermutungen zum Übersetzer
Fakten und Vermutungen zum Autor

 

Kostas Karyotakis Gedicht Σε Παλιό Συμφοιτητή gesungen von Savina Yannatou zur Musik von Lena Platonos.

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