Marion Poschmann: Zu Friederike Mayröckers Gedicht „Die Taxusbäume im Eis:…“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Friederike Mayröckers Gedicht „Die Taxusbäume im Eis:…“ aus Friederike Mayröcker: Gedichte 1939–2003. 

 

 

 

 

FRIEDERIKE MAYRÖCKER

DIE TAXUSBÄUME IM EIS: WÄNDE VERLORENER SÄNGER SCHWARZ IN BLAU
der scharfe Aufbruch des Winters starr in Pfützen
Hecken von Schwarzkunst Hecken Verwandlung Hecken Mondreisig
Sonne oder Mond (etwas Grausames ist unterwegs)
die Taxusbäume haben sich gewendet –
auf der Todesbahn Monza als man die Bäume entfernte
lombardische Bäume mit schwarzen Blitzen
die violetten Hellebarden der Sonne
kreuzten vor ihren hart gewordenen Schatten

die Himmelsblöcke der Tränenpappeln Trauerweiden Lebensbäume
trichterförmig
schöne Häupter
schwebend über den Rändern der Strasze
Geisterfüsze etwas über dem Beton

Ockergräser Harfenblumen versehrte Weichteile von Monza
rasend hämmern Horizonte nieder

 

Die Gewalt versteckt sich

hinter den zurechtgestutzten Pflanzen

„Ich lebe in einem Poesiereservat“, hat Friederike Mayröcker einmal gesagt, und dieses Reservat trägt in vielen ihrer Texte Züge eines Gartens. Pflanzen- und Naturmotive spielen sowohl in Mayröckers Prosa als auch in den Gedichten eine große Rolle, schaffen eine elegische oder ekstatische Stimmung und sorgen für eine Anbindung an die poetische Tradition. Bei Mayröckers Gartengedichten darf der Leser als Folie immer den Paradiesgarten mitdenken, und zwar inklusive der Vertreibung aus demselben. Die große Kunst dieser Autorin aber besteht darin, für diese bekannten Elemente radikal neue Fügungen zu finden und ihnen für die Gegenwart ihr Leuchten und ihre Tiefe zurückzugeben.
„Die Taxusbäume im Eis“ evozieren einen winterlichen Park mit strengen Barockanlagen, mit beschnittenen Bäumen und stilisierten Hecken, die im Klammergriff des Frostes stecken. Dieser erstarrten geometrisch zugerichteten Natur ist etwas Magisches, etwas Unheimliches unterlegt, eine latente Gewalt, die fürchten lässt, die zurechtgestutzten Gewächse könnten sich verselbständigen und sich gegen den Betrachtenden wenden. Hervorgehoben sind in diesem Park die Hecken, Pflanzungen, die eine Grenze markieren. Auf ihnen sitzen in der Mythologie die Hexen, genau auf der Grenze zwischen der alltäglichen Welt und dem Bereich der Zauberei. Im Paradiesgarten bezeichnet die Hecke die Schwelle zwischen Diesseits und Jenseits. In diesem Gedicht wird der Leser mit der wiederholten Nennung der Hecken in den Bereich des Poetischen versetzt, und dieses ist ein oszillierender Ort, ein Zwischenbereich, bei dem man nie weiß, ob man sich dabei „diesseits“ oder eher „jenseits“ befindet, nie sicher sein kann, von welcher Seite aus man die Hecke gerade wahrnimmt:

die Taxusbäume haben sich gewendet.

Diese vage Räumlichkeit, die überall und nirgends sein könnte, verfügt jedoch als Kontrast und Angelpunkt über eine klare geographische Verortung. Die „Todesbahn Monza“ liegt im Parco di Monza, einem Schlosspark in Oberitalien, der durch seine schieren Ausmaße (er ist größer als der Central Park) bereits Prominenz erreicht hat, seine Unverwechselbarkeit jedoch dadurch, dass sich in ihm eine Autorennbahn befindet. Dieser Rennstrecke eignet eine gewisse Brutalität, denn nicht nur die Parkbäume mussten ihr weichen, sondern die Rennen in Monza forderten aufgrund der dort besonders hohen Geschwindigkeiten auch überdurchschnittlich viele Todesopfer. Literarisch klingt hier die „Renne-Bahn“ aus dem Gryphius-Sonett „Abend“ an, die Lebensbahn, die immer schneller auf den Tod zuläuft. Auf dieser Wegstrecke wirken die Pflanzen am Rand, als wären es Menschen gewesen, verwandelt durch die schwarzen Künste des Todes. Ist es noch Tag, oder ist es schon Nacht? Sind wir noch am Leben, oder wandeln wir schon als Geister? Treibt uns die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies, oder müssen wir uns damit abfinden, dass dieser irdische Garten das einzige Paradies ist, das uns offensteht, ein schöner Irrgarten, in dem wir uns bereits, mit allem Leid und Schmerz, befinden?
Das Gedicht ist nicht arm an Melancholiesignalen. Die Gräser, biblische Symbole des menschlichen Lebens, werden absurd vom Horizont niedergedrückt. Die schwarze Sonne der Schwermut, die Seelenverdüsterung, ist mit den schwarzen Blitzen und den violetten, zur Waffe gewordenen Strahlen zitiert. Es sind die Schatten der Bäume, die erinnerten Bäume präsenter als die realen Bäume, diese wiederum scheinen in geisterhafte Wesen mit Häuptern und Füßen verwandelt, schön, aber unwirklich.
So täuschen alle Dinge ihre Substanz nur vor, im nächsten Augenblick können sie verschwinden, zu etwas anderem werden, vernichtet sein. Das Harte wird gegen das Weiche gesetzt und verleiht diesem Ernst und Schwere, das Harte wiederum wird aufgelöst in Poesie, in jene Sprache, die die Dinge hervorbringt, indem sie sie beim Namen nennt.

Marion Poschmannaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Achtunddreißigster Band, Insel Verlag, 2015

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