„Matthias“ BAADER Holst: traurig wie hans moser im sperma weinholds

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von „Matthias“ BAADER Holst: traurig wie hans moser im sperma weinholds

Holst-traurig wie hans moser im sperma weinholds

DEIN ATEM WAR EIN TIER: KEIN BUNTSPECHT

du schlugst meinen hoden zu boden
du schenkst unsrer lache die trümmer
es hüpft eine botschaft durchs zimmer
die BEUGT unserm TUN: geheimes
wir können es nicht erkennen
was rauscharm sich: aufgebahrt
wir sind auf der flucht!
wir kämmen des urgrunds
kenternde
aaaaaaaalocke
wirf hin die rippe des zweiflers!
erwürg mich beim wider: STEHN!
im auge des feindes weint zeugung
zu welk uns im kreise zu drehn
enthaupten wir uns
aaaaaaaaaaaaaaaazu schnee

 

 

 

Land der Dichter und Reimer

Die Ähnlichkeiten von BAADERs Gedichten und Rammsteins sind unverkennbar gegeben. Wo der Dichter einst schrieb „Wenn du weiter so stöhnst, zieh ich die Heckenschere aus deinem Schenkel“, heißt es bei Rammstein zu Beginn der Karriere:

Ihr wollt doch auch den Dolch ins Laken stecken.

Man kannte sich und konnte schon im Vorfeld gut miteinander. Paul Landers und Flake waren Feeling B, BAADER gründete die Gruppe Frigitte Hodenhorst Mundschenk (auch Flake war ein Teil davon). Eine programmatische Namensgebung, die Nazivergangenheit und SED-Umnachtung vereinte und darauf verwies, mit dem Mund Dichtung ausstoßen, sich als Lippendiener an der eigenen Dichtung wissen zu wollen.
Der devote Mundschenk war BAADER, er beherrschte all seine Gedichte auswendig, um sie intus zu haben und effektiv „rübber“ zu bringen. Je nach Stimmung, Umständen, Publikum schmiss er sie durcheinander, kickte Zeilen aus der Reihung, um dem Auftritt maximale Ausdrucksweise zu verschaffen. BAADER sprang mit seinen Texten nach Belieben um, zerpflückte sie ohne Skrupel, um sie, in nie zuvor erlebter Wucht, zu einem absurden Sprachstrauß neu zu bündeln.
Rammstein dagegen spult das betonfeste Bühnenspektakel mit auf die Sekunde programmierter Titelabfolge und Showlänge herunter und produziert sich, wo immer auf der Welt on stage, in gleichbleibender Songserie. BAADER dagegen erlangte mit jedem seiner einzelnen Auftritte Einmaligkeit. Er belohnte sich mit seiner ständig Form und Farben wechselnden Vortragskunst selber dafür, Überbringer von wahrhaften Gedichten zu sein. Denn BAADER zwang sich, ihnen sklavisch zu dienen und ein und dieselbe Zeile, wenn es vonnöten war, zu röcheln, zu schreien, zu flüstern und aus sich herauszuwürgen. Seine Botschaft lautete: Ich, matthiasBAADERholst, bin zu einem größer angelegten Kosmos unterwegs.
Mitten in die Schwärze des Alls aller Dichtung schoss er seine Zeilen aus allen Harpunen ab und stand damit am Beginn einer gesonderten Raumfahrt, deren Ziel nur die Holstsche Raumstation sein konnte. Und hob also mit den ersten Dichtversuchen bereits erfolgversprechend ab ins Universum. Keinerlei Fehlversuche und Rückschläge auf dem dichterischen Sonderpfad zu vermelden, außer dass die Unternehmung, sich als Einzelwesen zur Raumpatrouille zu entwickeln, jäh durch seinen frühen Tod vereitelt wurde.
Mit dem heute bei Rammstein als Tastenficker beschäftigten Flake war lange vor Gründung der Gruppe, im Bund mit BAADER, die irrwitzige Exkursion gestartet, die zukünftige Crew beisammen. Eine aufblasbare Puppe gehörte noch zum Raumteam dazu. Das war’s dann aber auch. Ihre Antriebskraft bezog das Raumschiff aus dem Betrommeln von Mülltonnen. Sicherheitsnadel und Mülltonnennmarke wie bei den erdverbundenen Punks damals üblich, drosch BAADER wie er dichtete massiv heim zur Urmutter. Er war ihrem Pogo voraus, war längst zu ihrem verkannten Vorreiter geworden, wenn er in Knickerbocker und mit breiten Hosenträgern über der nackten Hühnerbrust unter die Leute ging. Die BAADERkappe auf dem Kopf war sein Raumhelm. O ja. Ich sage euch. Wäret ihr ihm in seinem grotesken Aufzug begegnet, ihr hättet ihn für den Wahrhaftigen gehalten.
Ganz sicher wäre BAADER ein Rammstein geworden und hätte den dichterischen Ton in der Formation angegeben. Die Gruppe selbst hätte ihren Dichter gedeckt, BAADER auf seine Urheberschaft verzichtet. Es darf deswegen auch nicht von Klau geredet werden. BAADER wäre in diesem Zusammenhang Bandgemeingut von Rammstein geworden. Die Unterschiede jedoch bleiben bestehen. Denn BAADER war Dichter, Lindemann ist ein Reimer. Doch BAADER hätte, wie ich ihn kenne, den armen Lindemann von seinen lyrischen Gehhilfen befreit. Für Rammstein ist es also nur ehrenvoll, im Rufe zu stehen, sich bei BAADER bedient zu haben. BAADERholst vereint in seiner Person weitaus mehr Stimmen als Rammstein in Sechs-Mann-Stärke. Und keiner sonst ist geeigneter als BAADER, um als Rammsteiner zu gelten, weil er mit vierzehn den gesamten Kafka intus hatte und sich durch die Giftschränke der sozialistischen Büchereien fraß. Und der Umgang mit sich selbst und den Gedichten war nötig, um das, was aus BAADER floss, auch herauszurotzen. Rammstein hätte kommen und aus der Quelle trinken müssen. BAADER ist immer noch einer von ihnen. Der Dichter auf der Seite der Armen, Ausgebeuteten, Sklaven, Vergewaltigten, Gemordeten.
Rammsteins Texte wären unter seinem Einfluss bessere geworden. Sicher, sicher. Es wäre bei Rammstein unter BAADER nie nötig gewesen, mit Leni-Riefenstahl-Bildern, einem Sexvideo oder Stricken um die Hälse auf sich aufmerksam zu machen. Die Verse müssten, wie sie sind, in den Köpfen der Fans ganz ohne drastische Bebilderung wirken. Die Zeile „All die Toten Albaner auf meinem Surfbrett“ hätte uns allen die Zeile „America is wunderbar“ erspart.
Die Frage danach, wie viel BAADER in Rammsteins Liedern steckt, ist folgendermaßen zu beantworten: Man hört ihn in allen & keinem.

Peter Wawerzinek, 25.7.2020 aus einer E-Mail

Ein Zustand namens Frigitte Hodenhorst Mundschenk

– Christian „Flake“ Lorenz1 und Bo Kondren2 über ihre Zusammenarbeit mit „Matthias“ BAADER Holst. Im Interview mit Alexander Pehlemann. –

Alexander Pehlemann: Wie seid ihr auf BAADER getroffen und wie kam es zu Frigitte Hodenhorst Mundschenk?

Bo Kondren: Ich habe BAADER bei einem Konzert von Ornament & Verbrechen mit Bert Papenfuß im Kino Babylon kennengelernt. Ich weiß nicht, ob’s um zwei war, es war jedenfalls sehr spät, und der Hausmeister war der Meinung, dass jetzt Schluss ist, weil wir irgendwie nicht aufhören konnten oder wollten. Er stellte den Strom ab bzw. zog einfach den Stecker raus. Aber so, dass auch kein Licht mehr ging. Also standen alle im Dunkeln, es gab nur noch Notbeleuchtung. Ziemliches Chaos. Da traten BAADER und ScHappy auf die Bühne und fingen einfach an zu erzählen, ohne Mikrofon. Eine Art Stegreifgeschichte, die aber mehr oder weniger auf den Texten von BAADER beruhte. Das war so komisch, dass sie es geschafft haben, über eine Stunde die Leute und damit auch den Hausmeister, der ja eigentlich gehofft hatte, mit der Maßnahme die Leute aus dem Kino rauszukriegen, zum Bleiben zu bewegen. Das waren absurde Texte, so wie BAADER eben geschrieben hat. Aber teilweise kam es auch nur wie ein Witz rüber, sehr lustig. Anderthalb Stunden haben sie die Spannung halten können, das war super.

Christian „Flake“ Lorenz: Ich war witzigerweise auf der gleichen Veranstaltung, aber unabhängig von Bo. Wenn was Intellektuelles lief, das irgendwie nach Underground aussah, ist man damals hingelaufen, egal wie das aussah und was einen da erwartete. Insofern wurde ich auch völlig überrascht von der Situation. Ich weiß noch, dass ich herzlich lachen musste – und ich lache sonst nicht so viel. Also das muss wirklich sehr witzig gewesen sein. Ich dachte, der Typ ist völlig verrückt, der hat ne Macke, der ist bekloppt. Fand ich gut!

Bo: Ich bin nach dem improvisierten Auftritt hin und hab mit ihm gesprochen. Wir kamen da auch auf Musik. Er hatte schon Erfahrungen mit Texten und Musik bei den Letzten Recken gemacht, wenn ich mich recht erinnere, und hatte Lust, das auszubauen. So hat er uns dann ein paar Mal besucht und wir überlegten mit Flake, was man machen kann, Heraus kam aber alles andere als eine Band, sondern eher so ein Zustand. Mal war Klaus Maus dabei, aber es gab auch Situationen, in denen Alexander Kriening getrommelt hat.

Flake: Da war viel Wechsel. Es war wirklich so, dass wir keine Band waren in dem Sinne. Wir haben das damals Projekt genannt, was auch ein blöder Begriff ist. Wir haben uns um Auftrittsmöglichkeiten gekümmert, auf Privatpartys, in der Kirche oder zu Ausstellungseröffnungen. Was das Dankbarste war, da konnte sich keiner beschweren, denn das war eben Kunst oder Performance. Hatten wir einen Termin, haben wir uns Menschen zusammengesucht, die da mitspielen können, und auch das Programm dem Anlass angepasst. Also es zu integrieren, so hinzustellen, dass das passt. Wenn die Aktion vorbei war, hat die Band auch nicht geprobt oder so, sondern lag friedlich da, bis der nächste Termin kam.

Pehlemann: War die Arbeit mit BAADER entsprechend kompliziert, vielleicht sogar chaotisch?

Bo: Ganz und gar nicht. Mit BAADER selber gab es das Problem nicht. Wenn es irgendetwas mit seiner Lyrik zu tun hatte, ob eine Lesung oder ein Konzert, dann war der da. In welchem Zustand auch immer. Er hat sich auch vorbereitet und war, zumindest, bis er auf die Bühne gegangen ist, verhältnismäßig kontrolliert. Da hörte das aber komplett auf, was das Besondere war. Auf der Bühne wird ja normalerweise etwas gezeigt oder vorgespielt, aber das war bei Frigitte Hodenhorst überhaupt nicht so. Es war eher eine Implosion mit furchtbarem Getöse. Daraus haben sich die wunderbarsten Missverständnisse ergeben zwischen denen, die es gehört, und denen, die es gemacht haben. Das hatte Performancecharakter, der nicht geplant, sondern überhaupt nicht absehbar war. Wenn BAADER sich nach den ersten zwei Minuten auf die Bühne legte und nur noch im Liegen sprach oder sang, dann ist er meistens auch nicht wieder aufgestanden.

Flake: Bei ihm war es auch so, dass man gar keinen Unterschied gemerkt hat, ob er nun betrunken war oder nicht. Er war ständig in so einem Zustand zwischen den Welten. Ich habe auch nie mit ihm ein ernsthaftes Gespräch geführt. Eine Frage wie „Wie geht’s dir?“ oder so etwas, das gab es gar nicht. Ein normales Gespräch zu versuchen, war vollkommen sinnlos. Es war nur wichtig, was gerade im Bunker, im Hauptquartier passierte. Der lebte völlig in seiner Sprachwelt. Wenn er „Guten Morgen“ gesagt hat, dann hieß das nicht „Guten Morgen“, sondern es kam irgendwas ganz Bescheuertes aus irgendeinem Text von ihm.

Bo: Er hat ganz stark seine Texte in sein Leben eingebaut, er hat mit den Texten gelebt. Er kannte ja alle Texte auswendig. Nur so waren ja Sachen wie im Babylon denkbar. Denn da im Dunkeln hätten ja kein Buch oder Blatt Papier geholfen. Aber der ist nie mit einem Buch oder Manuskript aufgetreten. Er hat das immer auswendig gebracht. Ich kann mich allerdings nicht an Hänger erinnern oder daran, dass er nachdenken musste. Das kam einfach raus. Genauso war es auch in der Umgangssprache. Da waren immer Versatzstücke drin. Er hat mit der Lyrik zum Teil auch die ganz normale alltägliche Kommunikation bewerkstelligt.

Flake: Wenn wir in eine Gaststätte gingen, sind die Kellner zusammengebrochen. Die, die noch fit waren, mussten lachen. Die anderen sind einfach in die Küche gegangen und nicht wiedergekommen. Weil er es nicht einmal geschafft hat, zu sagen: Ich würde gern einen Kaffee trinken. Es kam etwas völlig Absurdes, das ein Außenstehender überhaupt nicht verstehen konnte.

Bo: Er hat mit seinen Texten eine Art von Exhibitionismus gelebt. Nicht nur, dass er sie ständig in seine Umgangssprache eingebaut hat, er hat auch diesen Kosmos erzeugt, in dem die Beteiligten genauso diese Versatzstücke benutzt haben. Es hatte keinen Sinn, zu BAADER zu sagen, an deiner Aussprache müssten wir noch ein bisschen arbeiten oder fang mal erst nach acht Takten an zu sprechen. Das war eine sinnlose Kommunikation. Das wusste man auch sofort, ohne dass das je irgendwo geschrieben gewesen wäre oder man sich darüber verständigt hätte. Es war klar, dass diese Art Kommunikation mit BAADER nicht funktioniert, die über seine Texte oder Versatzstücke aus den Texten aber sehr wohl. Musik war für ihn eine zusätzliche Möglichkeit, die Texte nach außen zu geben. All das machte es zu diesem Zustand, zu dieser außergewöhnlichen Situation, in der man war, wenn es um ein Konzert oder irgendwas mit BAADER ging.

Flake: Wobei für uns die Veranstaltung in dem Moment anfing, wenn BAADER durch die Tür kam, und endete, wenn er wieder ausstieg und sich ins Bett legte. Der Teil, bei dem wir den öffentlichen Auftritt hatten, war nur ein winziges Bruchstück davon. Das Erlebnis oder der Kunstgenuss, das waren immer so zwei Tage. Uns gings auch immer sehr schlecht nach diesen zwei Tagen, wir waren immer fix und fertig.

Bo: Es ging dabei auch gar nicht um diese Termine. Weder haben wir uns um sie gekümmert noch waren wir darauf versessen. Das war nur ein Anlass. Wir hätten im Prinzip auch auf die Wiese gehen und für die Kühe spielen können. Es wäre im Prinzip derselbe Vorgang gewesen von unserer Wahrnehmung her. Ein Konzert irgendwo oder eine Ausstellungseröffnung, das war nur dieser kleine Stein des Anstoßes, dass wir sagten: nun fahren wir los! Denn dann ging es los mit Schädel3 besorgen und sprechen, so dass wir ausreichend Informationen hatten. Uninformiert4 sind wir nie angekommen. Weshalb wir auch immer sehr spät ankamen. Es spielte auch keine Rolle, wenn es hieß: Soundcheck ist um 17 Uhr. Wir sind kurz vor Showtime gekommen und haben versucht, irgendwas zu machen. Wir sind oft auch einfach zu spät gekommen. In Dresden, bei Aktionen mit Yana Milev, da kamen wir so spät, dass man einfach nicht mehr auftreten konnte. Wobei ich nicht mehr weiß, ob BAADER da auch dabei war.

Flake: Oder wir sind direkt auf die Bühne gegangen und haben sofort gespielt.

Bo: Dafür aber meistens auch nicht wieder aufgehört.

Flake: Nein, wir haben oft so eine Art Diskothek angeschlossen, könnte man sagen. Wir gingen von der Bühne und haben angefangen zu tanzen. Als ob das noch mit zum Konzept gehörte. Das war die Zeit, als gerade Acid ein bisschen bekannt wurde und die Leute waren ganz begeistert, dass man so aus dem Nichts lostanzen konnte. Das gabs ja früher nicht. Dadurch haben wir viele gute Abende erleben können.

Bo: Das war reiner Acid-House, noch kein Techno. Dass man das integrierte, haben aber die meisten nicht verstanden oder goutiert. Die waren gekommen, um eine Lesung zu hören und nicht, um eine kollektive Schockstarre zu erleben. Dass danach die Schockstarre durch Tanzen wieder gelöst wurde, dieser Vorgang war für die im Sinne des Kulturbetriebes oftmals wertlos.

Flake: Das war ein Gesamtkunstwerk. Aber wer jetzt wirklich Literatur erwartete, musste sich schon wundern.

Pehlemann: Waren die Abläufe dann vollkommen improvisiert?

Flake: Nein. Wir hatten schon ein musikalisches Grundgerüst. Damit man wenigstens die Titel auseinanderhalten konnte. Wir haben uns grob geeinigt, wer welches Instrument spielt und bei den Grundtonarten waren wir auch meistens einer Meinung. Aber die Titel, wenn man das Titel nennen kann, waren oft verschieden lang. Wenn BAADER in Stimmung war und mehr erzählt hat, ging das Lied auch schon mal eine Viertelstunde.

Bo: Es gab eigentlich keine Titel, sondern Themen-Gerippe. Wir haben verschiedene Knochen mitgenommen, die man zu mehr oder weniger aussagekräftigen Figuren zusammengebaut hat. Flake kam dann mit einen Bass-Motiv und ich erinnerte mich, aha, da passt doch dieser Loop dazu… Aber musikalisch war das eigentlich grottenschlecht.

Flake: Das war konsequent.

Pehlemann: War BAADER die Musik überhaupt wichtig, hat er da mitgewirkt?

Bo: Für ihn zählte nur, dass er sich einklinken konnte. Aber das war ganz wichtig. BAADER war ein bisschen der Dirigent, obwohl er nicht direkt dirigiert hat. Er hat jedoch so mit dem Körper gezuckt, als ob er einen epileptischen Anfall bekam, oder so komische Bewegungen gemacht, die eher an ein Radargerät oder eine Sonde erinnerten. Wenn man diese Bewegung ein bisschen lesen konnte, hat man gemerkt, ok, jetzt ist er im Groove drin, hat er eingehakt, jetzt bringts ihn auch nach vorne – oder eben nicht. Dann haben wir auch schnell reagiert, wurde schnell was umgestoßen, damit dieses Tuning wiederhergestellt werden konnte. Das war sehr wichtig. Welches Stück da lief, spielte aber keine Rolle. Manchmal wechselte er auch mit dem einen Text auf eine andere Musik – Musik in Anführungsstrichen. Wenn wir dann aufgenommen haben, war das aber schon wieder etwas ganz Anderes. Es gibt ja Gott sei Dank ein paar Aufnahmen, die Flake gefunden hat.

Flake: Die waren aber auch völlig spontan, wenn mich nicht alles täuscht. Da haben wir uns damals bei Bo in der Wohnung getroffen und einfach losgespielt.

Bo: Wenn etwas entstand, dann ist es aber auch nur einmal entstanden. Es war völlig sinnlos, mit BAADER oder mit unserem Projekt allgemein, denn das hatte nicht nur mit BAADER zu tun, etwas wiederholen zu wollen. In dem Sinne, dass ein Titel letztens gut ankam und wir den jetzt noch mal machen, aber nun, damit er noch besser ankommt, hier noch ein Break reinkommt oder so. Das war eine völlig sinnlose Unternehmung. Wir haben immer wieder gesehen, dass wir uns nach Möglichkeit nicht wiederholen. Entweder eine neue Kombination mit alten Sachen zu suchen oder mit neuen Sachen anzukommen. Wiederholung war tödlich, das hat man gespürt.

Pehlemann: Wie oft seid ihr denn aufgetreten?

Flake: Ich denke, wir hatten so um die zehn Auftritte.

Bo: Ich weiß auch gar nicht mehr, ob nach der Wende noch viel passiert ist. Ich habe da nur noch eine sehr verschwommene Erinnerung, weil das eine extrem bewegte Zeit war. Aber wir hatten ja auch keine Fans oder so was, darum ging es gar nicht, wir hatten Beobachter oder Betroffene. Wir hatten auch niemanden, der wiederkam, denn wir haben nirgendwo ein zweites Mal gespielt.

Flake: Es gab auch keine Entwicklung in der Band, denn keiner wollte irgendwohin. Das war immer ein Ist-Zustand, kurz fotografiert, und dabei blieb’s. Deswegen konnten wir auch keinen Weg gehen. Wir haben keine Fortschritte gemacht, sondern sind nur ab und an aufgeschlagen.

Bo: Es gab zwar auch immer wieder Anfragen, es in ernsthaftere Bahnen zu lenken, von Leuten, die an Verwertung interessiert waren. Aber es interessierte uns überhaupt nicht, diesem Druck irgendwie nachzugeben.

Flake: Auch wenn uns ein Konzert bei einer Veranstaltung angeboten wurde, haben wir teils gesagt, nee, ist uns zu doof. Wir sind keine normale Band.

Bo: Wenn wir in einem Zusammenhang spielen sollten, bei einem kleinen Festival, oder die Lyrik-Kuschelecke innerhalb eines Happenings übernehmen, dann haben wir das natürlich nicht gemacht, das kam nicht in Frage.

Pehlemann: BAADERs Vortragsweise, ob nun mit oder ohne Musik, war ja auch eine sehr spezielle?

Flake: Er beherrschte die Kunst, es belanglos zu sagen. Dadurch kam so eine Aneinanderreihung von Kuriositäten viel besser, denn es klang nicht so auf Wirkung bedacht, nicht so durchgeistigt, sondern es klang echt.

Bo: Er hatte auch keine Erwartung, dass man ihm zuhörte oder wie vielleicht sogar die Wirkung der Texte zu sein hatte. So etwas habe ich bei ihm nie gespürt, was ihn wiederum völlig befreit hat von Zwängen und Ängsten. Dadurch hatte er eine unglaubliche stoische Ruhe, so eine Kaltschnäuzigkeit auch, was diese völlig absurden Texte noch zusätzlich verstärkt hat. Wenn man das mit dem Pathos eines Expressionisten vorgetragen hätte, der er ja auch war – so ein implodierter Expressionist – dann wäre das albern gewesen, glaube ich. Man konnte das für dadaistisch halten oder für übertrieben oder was auch immer, abgefahren, da gab es sicherlich viele Wahrnehmungen, aber entziehen konnte sich in dem Moment eigentlich niemand.

Pehlemann: Was es eventuell auch besonders schwer macht, nach seinem tragischen Abtritt das Werk weiter lebendig zu halten.

Flake: Wir wollten ja mal ein Stück machen am Schillertheater und haben uns mit den Texten auseinandergesetzt. Wenn man ihn kannte, diese Wortverbindungen kennt, hört man seine Stimme, während man sie liest. Wenn man die Texte nur an sich sieht, ist es ganz schwer, die irgendwie vorzutragen oder auch nur zu verstehen. Ich müsste sie in seiner Art vorgelesen bekommen, um ein Gefühl zu kriegen, wie das gemeint ist.

Bo: Da ist ein großer Unterschied zwischen der Autorenlesung und einer Lesung. Was in vielen Fällen nicht so gravierend ist. Er aber hat es in einer Art und Weise gelesen, wie ich es nie wieder gehört habe. Das macht es schwierig. Wenn du BAADER gekannt hast und einen Text von ihm mal gehört hast, dann existiert der Text, dann lebt der Text. Meine Kinder haben mich mal gefragt: was ist den FHM, das klingt ja sehr komisch. Ich habe ihnen Texte gegeben und sie konnten damit nichts anfangen. Da habe ich die Texte selber gelesen – und konnte damit auch nichts anfangen! Nur durch diese Vorstellung kann man einen Zugang finden.

Flake: Es ist auch schwierig, überhaupt einen Text rauszunehmen. Er hat ja nicht getrennt zwischen Alltagssprache und Gedicht, es war alles eins. Im Prinzip hätte man alles abdrucken müssen, was er gesprochen hat. Als Dokumentation. Ein Abhörprotokoll aus seiner Wohnung, das wäre genauso hochwertig.

Bo: Da er auf diese krasse Art zu Tode gekommen ist,5 gab es immer wieder Leute, die sich um ihn bemüht haben und auch Leute, die da noch ne Mark mit machen wollten, aber das hat nie funktioniert. Jedenfalls nicht in dem Maße, wie diese Texte und die Erfahrung mit ihm es vermuten ließen.

Pehlemann: Nun existieren nur diese wenigen Aufnahmen von euch mit ihm, aber doch einige pure Textlesungen durch ihn selbst, aus denen man posthume Stücke machen könnte, als Remix oder Neukontextualisierung. Habt ihr da je drüber nachgedacht?

Bo: Das kommt für mich nicht in Frage. Jegliches Herumkonstruieren, Gesample und Arrangieren wäre genau dieser Idee zuwider, die wir mit ihm gelebt haben.

Flake: Ich finde auch gut, wenn im digitalen Zeitalter, wo alles gespeichert wird, wo jedes Scheiß-Kinderfoto auf Festplatten im Weltall rumschwirrt, es einfach auch Sachen gibt, die vergänglich sind. Dass man manche Sachen einfach macht, die da sind und schön, und danach nicht wiederkommen, nicht aufgenommen sind. Ich sehe das wie ein Feuerwerk. Das guckt man sich an, man ist dabei oder eben nicht. Man muss sich kein Feuerwerk im Fernsehen angucken, das ist bekloppt.

Bo: Man kann auch kein Feuerwerk erzählen.

Aus Alexander Pehlemann, Ronald Galenza und Robert Miessner (Hrsg.): MAGNETIZDAT DDR. Magnetbanduntergrund Ost 1979–1990, Verbrecher Verlag, 2023

 

 

Frigitte Hodenhorst Mundschenk (Die Band um BAADER Holst)  live beim Art Betweens Festival am 8.9.1989 im Potsdamer Lindenpark.

 

Matthias BAADER Holst – Film von Peter Wawerzinek geschnitten während seiner  Wewelsflether Alk-Therapie (2003–2008) mit Material, das er von  Jürgen Kuttner zugeschickt bekam.

 

 

AUF „BAADER“ HOLST
(für Peter Wawerzinek)

Er war der, der sich am Tag
der Währungsunion auf der Oranienburger
den Luxus gab, die Sprengfähigkeit
seines Körpers zu testen, der vor oder
gegen eine Straßenbahn lief, dem es
vielleicht wie eine Polyphonie
schräg aufgesetzter Schläfenschüsse
vorkam, wie eine Herde von Deppen
die vorbeimarschierten, wie eine Gegend
die plötzlich unbehaust

aber Hut ab und vorwärts, wir
bleiben dran, wir weichen nicht, wir
wechseln die Kanüle, so in der Art
also so wie eine Milieustudie mit
zwei Beinen in Schwarz-Weiß auf
offner Bühne, und wer
die Weite sucht, soll suchen

wütend wie ein Atemzug ist
morgens um acht die Welt noch
in Dortmund, in diesem Gegenwartskübel
in diesem Trog, in diesem demokratischen
Etwas, geht man raus und nutzt
die Dunkelheit, im Fernsehen
der verblödete Heimatinstinkt der Lachse

Björn Kuhligk

 

 

Sven Wenig: Hin zum Text: ein Plan und eine Legende (zu Matthias BAADER Holst / Notizen auf „facebook“)

Ina Kutulas: Folgend der Laufmasche durch die Häkelschrift der untermächtigen Überwäsche

Ina Kutulas: Örtliche Schauer und Baader im Anzug

Mirko Wenig: Der Seelenbesetzer – „Matthias“ BAADER Holst

Peter Wawerzinek: Unsere kurze Zeit als BAADER & Sc.Happy und die lange Zeit seitdem

Peter Wawerzinek: Ein Schriftsteller erinnert sich und an einen Freund

Fakten und Vermutungen zum Autor + Archiv 1 & 2Interview +
Neues
Porträtgalerie: Galerie Foto Gezett

 

„Matthias“ BAADER Holst – Videoschnipsel unter dem Titel „Briefe an die Jugend des Jahres 2017“.

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