Prenzlauer Berg zum x-ten und Adolf Endler Ständchen

Mashup von Juliane Duda zu der Kategorie „adhoc“

adhoc

Peter Wawerzinek hat es sich nicht nehmen lassen, mit Rabenliebe im Rücken (Der Deutsche Buchpreis weht heran), noch einmal die Steigeisen anzuschnallen. Einige andere Wanderer haben ihm gleich Hallo gesagt.

Postboten, Schwarzhändler, Totengräber

– Wie die Dichter des legendären „Prenzlauer Bergs“ lebten: Der Schriftsteller Adolf Endler erzählt. –

Konrad Franke: War der Prenzlauer Berg ein DDR-Schutzpark, womöglich gar ein vom DDR-Staatssicherheitsdienst geplanter?

Adolf Endler: Der Prenzlauer Berg bot sich DDR-weit als Bleibe für Aussteiger an. Aber geplant war nichts. Daß die Stasi von Anfang an die Finger drin gehabt haben soll, halte ich für eine Legende.

Franke: Was zog an – die herrenlosen Altbauwohnungen?

Endler: Der Prenzlauer Berg war ein Viertel des Verfalls und der Lücken, er war das Berliner Viertel, wo man am leichtesten Fuß fassen konnte – weil viele leere Wohnungen der Kontrolle des Wohnungsamtes entglitten waren.

Franke: Weshalb ließ die DDR-Obrigkeit dieses Getto zu – weil es gut zu kontrollieren war?

Endler: Ich halte es für möglich, daß man ab Mitte der achtziger Jahre oben tatsächlich daran dachte, dort die Kriminellen und Aussätzigen jeder Coleur zu sammeln. Ein paar Autoren haben allerdings schon 20 Jahre zuvor dort gelebt: Erich Arendt, Elke Erb und ich zum Beispiel. Sascha Anderson und Rainer Schedlinski sind erst relativ spät in die Gegend gekommen.

Franke: Wie lebte man am Prenzlauer Berg?

Endler: Es war ein sehr kleiner Kiez. Man traf die Kollegen Uwe Kolbe oder Bert Papenfuß, wenn man um die Ecke bog. Es gab auch zwei, drei Kneipen, von denen man wußte, hier gehen alle hin: Das war das Wiener Cafe – dort sah man oft den Schachspieler Sascha Anderson −, da war das Cafe Mosaik, Mozambique genannt, da war das Keglerheim, nach der Besitzerin Fenglers genannt. Das Fenglers war am beliebtesten, verkam aber dann zu einer Art Stasi-Kneipe, da ging man nicht mehr hin. Es gab aber auch die Lesungen, erst wenige, dann so viele, daß die Stasi nicht mehr folgen konnte. 1984/85 organisierte Sascha Anderson zwei Groß-Lesungen in einer Kirche und auf einem Speicher, die hießen „Zersammlung“ I und II. Ich bin aus diesen Lesungen weggelaufen, weil sie so schlecht waren. Bei den Bürgerrechtlern, bei den Poppes, bei Eckart Maass, bei Bereska gab es schon früh einmal, zweimal im Monat Lesungen. Ab 1983/84 gab es Dutzende solcher Lese-Adressen, und das griff auch auf andere Berliner Stadtteile und weiter auf Leipzig, Erfurt, Dresden. Spontihaft und leise zu organisierten Formen tendierend – so war das Leben auf dem Prenzlauer Berg damals.

FrankeGab es Rituale, „Berg“-Rituale?

Endler: Nein. Es war nur ziemlich verbreitet, daß man zur Kenntnis gab, wenn man etwas geschrieben hatte. Man las vor oder steckte dem anderen sein neues Gedicht in den Briefkasten. Jan Faktor verbreitete seine „Manifeste der Trivialpoesie“ im ganzen Bezirk, später streute er vernichtende „Gegenreden“ aus, einfach nur so, ohne seinen Namen zu nennen. Wie zu Dada-Zeiten…

Franke: Wie stark war das Dada-Erbe wirksam?

Endler: Ganz wichtig waren für die Szene die Texte von Kurt Schwitters. Seine „Ursonate“ wurde immer wieder präsentiert und zitiert. Aber auch Ernst Jandl besuchte den Prenzlauer Berg, und es gab sehr bewußte Anknüpfungen an die Lebensweise der „beat generation“ – Allen Ginsberg war eines Tages da. Wichtiger aber war, daß viele Autoren, die am Prenzlauer Berg wohnten, zuvor einen langen Bildungsweg hinter sich gebracht hatten. Bert Papenfuß zum Beispiel war ein guter Kenner der Barockliteratur. Die interessanten Prenzlauer-Berg-Leute – das sind vielleicht zehn oder fünfzehn −, wollten alle nicht „Klassiker“ sein wie die Autoren der „Sächsischen Dichterschule“, also wie Karl Mickel, Volker Braun, Rainer Kirsch.

FrankeWovon haben die Dichter des Prenzlauer Bergs gelebt?

Endler: Man konnte sich einen Job suchen. Bert Papenfuß war lange Jahre über Beleuchter bei einem Studententheater. Sehr viele sind als Postboten gegangen oder haben als Postsortierer gejobbt. Auch auf dem Friedhof haben immer wieder Dichter gearbeitet, als Totengräber – das war die letzte Station. Und es gab natürlich unglaublich viel Gaunerei – es gab gaunerhafte Geschäfte, Schwarzhandel, illegale Geldtauscherei.

FrankeVon welchem Jahr an lebten die ersten „Berg“-Leute vom Geld der Stasi?

Endler: Das Stasi zahlte nicht gut. Man weiß, daß Rainer Schedlinski so ab 1985/86 vierhundert Mark gekriegt hat. Wie das bei Sascha Anderson war, das weiß kein Mensch. Der hat wohl die Stasi vor allem gebraucht, um seine privaten Geschäfte abzuwickeln. Schedlinski und Anderson, das sind aber auch schon alle Spitzel am Prenzlauer Berg. Der Rest: Das waren die „Opfer“. Der Vorwurf, daß der ganze Prenzlauer Berg ein Stasi-Nest gewesen ist: Unsinn. Das ist durch die Akten widerlegt. Die Bösartigkeit der Feinde des Prenzlauer Bergs besteht darin, daß sie jetzt die Akten der vielen „Opfer“ nicht mehr zur Kenntnis nehmen – das paßt nicht in ihr Konzept, sie wollen den Berg verteufeln. Der Prenzlauer Berg ist, was die Dichter-Szene angeht, das harmloseste, was sich in der ganzen DDR gefunden hat.

FrankeWar es am Prenzlauer Berg, bevor er zum Mythos wurde, schöner?

Endler: Nein. Wir waren mehr oder weniger vereinsamt und isoliert. Wir haben es als angenehm empfunden, als die jungen Leute kamen, die begabt zu sein schienen. Der Begriff „Prenzlauer Berg“ ist so etwas ab 1980 von Elke Erb, von mir und später auch von Gerhard Wolf in die Welt gesetzt worden. Ich habe auch von der „Prenzlauer-Berg-Connection“ gesprochen – damals lief der Film „Pizza-Connection“ in der DDR.

FrankeAber „Prenzlberg“ durfte man nie sagen…

Endler: Sagte einer „Prenzlberg“, wußte man, der ist nicht von hier. Es gibt aber heute eine „Prenzlberg“-Apotheke.

FrankeWas ist mit dem Prenzlauer Berg heute?

Endler: Der Stasi-Schock hat viele Autoren zum verstummen gebracht. Andere hat er geradezu geschwätzig gemacht – auch eine Form des Verstummens. Jetzt gibt es Ansätze zu einer anderen Sprechweise, sachlicher, aber auch zynischer. Die Zeit der Sprachspielereien scheint vorbei zu sein. An ihre Stelle tritt, könnte man sagen, die „neueste Sachlichkeit“. Es gibt eine neue Zeitschrift, Sklaven heißt sie, die sich vor allem auf Franz Jungs anarchistische Ideen kultiviert. Und Stefan Döring hat jetzt eine Kneipe aufgemacht, die heißt wie das Buch von Franz Jung Der Torpedokäfer

FrankeSie selbst sind dem Prenzlauer Berg nicht treu geblieben?

Endler: Ich wohne jetzt im Berliner Bezirk Friedrichshain. Man kann sich nicht immer mit diesem Kindergarten befassen, man muß auch mal ins Ausland.

Franke„Tarzan am Prenzlauer Berg“ – sie waren Tarzan. Wer war Jane? Ihre frühere Frau Elke Erb?

Endler: Könnte man sagen. Für mich ist Tarzan der Stadtmensch schlechthin: der Mensch, der sich im Dschungel der Großstadt bewegt, von Trottoir zu Trottoir, von Kneipe zu Kneipe.

Gespräch Konrad Franke und Adolf Endler, Süddeutsche Zeitung, 16.8.1994

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