Robert Gernhardt: Zu Peter Rühmkorfs Gedicht „Auf Sommers Grill“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Peter Rühmkorfs Gedicht „Auf Sommers Grill“ aus Peter Rühmkorf: Werke. Band I: Gedichte. –

 

 

 

 

PETER RÜHMKORF

Auf Sommers Grill

Auf dem Grill des Sommers hingebreitet,
sonnen-krosses Laub am Ellenbogen,
und der Himmel wie ein Präser Gottes
über die entflammte Welt gezogen.

Hochgehaucht am fuffzehnten Julei,
blau, das zarte Fell des Absoluten –
mein zerfahrenes Gesicht an deinem ausgeruhten
stimmt im Letzten doch dem Flugsand bei.

Ausgeworfen oder umgehetzt,
halb im Brand und schon im Schlamm des Jahres…
nun, mein Hundeherz, mein wunderbares,
wie’s zum Sprung ansetzt!

Zögernd an der westlichen Empore,
– schwenkt der Abend schon sein Chiffon-Tuch –
und hiiinein mit Spruch und Widerspruch
in die ausgelaufne Trikolore!

Wo die Schöpfung schon ins Jenseits überlappt,
abtrimo! und ins Gewölk wie nischt…
Goldener Schaum vorm äsenden Maul des Sommers,
losgeflockt und aus der Welt gewischt.

 

Ein Hoch dem fuffzehnten Julei

Im Jahr 1960 machte sich der damals dreißigjährige Peter Rühmkorf Gedanken über „Das lyrische Weltbild der Nachkriegsdeutschen“ und sein Befund fiel harsch aus: Seit 1945 seien die jüngeren deutschen Lyriker ständig auf der Flucht gewesen. Zuerst in die heile Welt des traditionellen Naturgedichts, dann in das preziöse Reich einer surrealistisch aufgetakelten Neoromantik, schließlich in den Leerlauf der konkreten Poesie und des völlig sinnfreien Lettrismus.
Doch wo die Gefahr am größten, wächst das Rettende auch, und Rühmkorf weiß gleich zwei Retter zu nennen:

Was nämlich die Gedichte von Grass und Enzensberger bei aller Unterschiedlichkeit auszeichnend verband, war die willentliche Offenheit gegenüber Weltstoff und Wirklichkeit.

Schiere Bescheidenheit, so vermute ich, verbot es dem Kritiker Rühmkorf, dem Retter-Duo einen Dritten im Bunde hinzuzugesellen: den Dichter Rühmkorf. Der nämlich, zwei Jahre jünger als Grass und vom gleichen Jahrgang wie Enzensberger, hatte 1959 im Rowohlt Verlag seinen ersten Gedichtband veröffentlicht. Sein Titel lautet Irdisches Vergnügen in g, und seinen Inhalt beschreibt Rühmkorf in Die Jahre die ihr kennt, seinem Lebensrückblick aus dem Jahre 1972, mit den folgenden Worten:

Schreiben als Wutanfall: Politische Oden, Hymnen, Gesänge.

Ein volles Programm, doch was hat „Auf Sommers Grill“ mit alldem zu tun? Denn auch dieses Gedicht findet sich in besagter Sammlung, und es steht vollständig quer zu allem, was der Dichter seiner Dichtung nachsagt: Kein Wutanfall, ein Glücksfall hat seine Feder geführt, nicht im Odenton spricht der Dichter über den geglückten „fuffzehnten Julei“, sondern im Volksliedton, nicht die reaktionäre politische Lage im Adenauer-Deutschland wird gegeißelt, sondern eine glorreiche Großwetterlage gefeiert, Voraussetzung für schamlos privatistischen Genuß: „Auf dem Grill des Sommers hingebreitet“ – diesem Fuffzehnten sind viele heiße Tage vorangegangen, anders wäre das Laub nicht „sonnen-kross“, eine so schöne wie hilfreiche rühmkorfsche Wortfindung, die es seither seinen Lesern ermöglicht zu benennen, was zuvor keinen Namen hatte: sommerbedingt vertrocknete Blätter.
Daß die sich in den Ellenbogen gedrückt haben, ist kein Zufall. Der Dichter ist nicht allein. Er stützt sich auf, beugt sich hinab, „mein zerfahrenes Gesicht an deinem ausgeruhten“ –, er durchlebt und feiert äußerst commune Wonnen, Wonnen der Gewöhnlichkeit geradezu.
Daß Rühmkorf das einfache Glück des Fleisches feiert, hat allerdings kein schlichtes Gedicht zur Folge. Im Gegenteil: Auf den ersten simplen, gebrochenen Reim folgen drei raffiniertere, umarmend gereimte Strophen, bevor die Schlußstrophe das abcb der ersten wieder aufnimmt, nicht aber die suggestive Anfangsmetapher: War der Sommer dem Dichter eingangs ein Rost gewesen, so mutiert er nun zu einem Roß, das abendlich-himmlischer Äsung nachgeht. Ist das noch dichterische Freiheit oder schon dichterische Dreistheit? Und was ist von der Keßheit zu halten, mit der Rühmkorf hohes Sprechen und niederen Jargon mischt: „Hochgehaucht am fuffzehnten Julei“ –?
Rühmkorf hat all seinen Sprachwitz und seinen gesamten Kunstverstand aufwenden müssen, um seiner Feier des fuffzehnten Julei jegliche Feierlichkeit auszutreiben. Dabei half ihm neben dichterischer Freiheit, Dreistheit und Keßheit auch poetische Kühnheit:

Und der Himmel wie ein Präser Gottes über die entflammte Welt gezogen.

Eine lebendigere, bis auf den heutigen Tag belebende Lyrik findet sich schwerlich in den politisch verhockten und ästhetisch verschmockten späten fuffziger Jahren.

Robert Gernhardtaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Siebenundzwanzigster Band, Insel Verlag, 2004

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