Rolf Schneider: Zu Peter Rühmkorfs Gedicht „Heinrich-Heine-Gedenk-Lied“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Peter Rühmkorfs Gedicht „Heinrich-Heine-Gedenk-Lied“ aus Peter Rühmkorf: Gesammelte Gedichte. –

 

 

 

 

PETER RÜHMKORF

Heinrich-Heine-Gedenk-Lied

Ting – tang – Tellerlein,
durch Schaden wird man schlau;
ich bin der Sohn des Huckebein
und Leda, seiner Frau.

Ich bin der Kohl- und bin der Kolk-,
der Rabe, schwarz wie Priem:
Ich liebe das gemeine Volk
und halte mich fern von ihm.

Hier hat der Himmel keine Freud,
die Freude hat kein Licht,
das Licht ist dreimal durchgeseiht,
eh man’s veröffentlicht.

Was schafft ein einziges Vaterland
nur so viel Dunkelheit?!
Ich hüt mein’ Kopf mit Denkproviant
für noch viel schlimmere Zeit.

Und geb mich wie ihr alle glaubt
auf dem Papier –:
als trüg ein aufgeklärtes Haupt
sich leichter hier.

 

Linke Narren aller Säkula

Das sagt, was ist. Das sagt, wie es ist. Das will keinen Doppelsinn. Das lebt nicht über seine Verhältnisse, eher darunter. Denn natürlich wird da in einer Fertigkeit geredet und gereimt, die dem Heine der „Neuen Gedichte“ und des „Wintermärchen“, bloß mal verstechnisch gesehen, ziemlich überlegen ist. Heine war gerne ein schlampiger Reimer und holperiger Skandeur; diesen Heine-Ton doch noch zu treffen, wird zum Beispiel im letzten Vers der zweiten Strophe „halte“ statt „halt“ geschrieben; letzteres hätte den Rhythmus glatt gemacht, zu glatt.
Die Heine-Nähe zielt infolgedessen mehr auf den Gehalt als die Sagweise, aber wo im lyrischen Text läßt sich das schon trennen? Ting – tang – Tellerlein: so hebt Heine nicht an, bloß Rühmkorf, der mit dem Volksvermögen. Der Abzählreim zählt den Vers ins Ungeheuerliche, geschlechtliche Ferkelei, politische Obszönitäten, beides; Leda wird statt von Zeus, dem Schwan, von Hans, dem Unglücksraben, begattet, und statt Helena gebiert sie bloß wieder einen Raben.
Den Kohl- und Kolkraben, schwarz wie Priem, Nahrung der See- und Schauerleute. Den Kohlraben gibt es nicht. Er existiert hier ausschließlich als biologisch unbekannter Träger der Farbe kohlrabenschwarz. Bei der handelt es sich um eine volksetymologische Ableitung von kolkrabenschwarz, der Farbe des größten aller Rabenvögel.
Rabe zeugt Rabe, weiß wird schwarz und schwarz bleibt schwarz. An Dunkelheit ist in diesem Gedicht kein Mangel, zur Hälfte besteht es aus Beschwörung und Umschreibung von Finsternis. Das Licht, wenn es aufscheint, ist dreimal geseiht, da wird Helligkeit, die Farbe der Aufklärung, bloß zur ächzenden Abwesenheit von Schwärze. Die Raben fliegen um den Kyffhäuser, wo, nicht allein bei Heine, der schlafende Barbarossa sitzt, altdeutsch-altbackenes Symbol für Spaltung und Elend im Vaterland. Was hilft dagegen? Denkproviant. Bei Heine heißt das Konterbande und wurde viel weniger resignativ vorgetragen; die Aufklärung war noch näher und die Revolution noch nicht vertan; hundert Jahre mehr Vaterland sind hundert Jahre mehr Verschleiß am Prinzip Hoffnung.
Wenn aber der Ton nicht heinisch ist, was ist dann der Rühmkorf-Ton? Der hier in Heine zu schlüpfen gewillt ist wie anderwärts in Hölderlin und Klopstock, aber auch Eichendorff, Claudius, Walther von der Vogelweide, der den Hofmannswaldau edierte, weil er den schätzt, der muß sich Nähe zum volkstümlichen Manierismus des Arno Holz der Dafnis-Lieder nachsagen lassen. Der alliterierend den Kohlraben findet und selber Rühm-Korf heißt, hockt unterm Morgenstern und hat auch den Raben Ralf im Kopf.
Sein Heinrich-Heine-Gedenk-Lied ist abgedruckt, oder wieder abgedruckt, in dem Band Die Jahre die ihr kennt, der Autobiographie des damals Dreiundvierzigjährigen. Es läßt sich somit auch die Entstehungszeit bestimmen, die das Jahr 1959 ist: zehn Jahre BRD, zehn Jahre DDR; einhundertzehn Jahre zuvor lag Heinrich Heine ein Jahr in der Matratzengruft, die Revolution war ein Jahr zuvor gescheitert, Rühmkorf trägt wie Heine, auf dem Papier, ein aufgeklärtes Haupt zur Schau. 1959 galt bei manchen in der Bundesrepublik Heinrich Heine als eine Erfindung ostdeutscher Kommunisten. Der ihn vorzüglich erfunden hatte, Wolfgang Harich, saß das dritte Jahr im Zuchthaus Bautzen. Unmittelbar vor diesem Gedicht steht in Rühmkorfs Autobiographie ein (natürlich von Holz inspiriertes) „Schäferlied“ und hebt an mit den Versen „Der rote Rühmkorf, wie er singt und spinnt / geht ihm das Hirn zutal“. Das ist es. Das ist es geblieben oder wieder geworden. Linke Narren aller Säkula, begreinet euch; die saure Wahrheit steht womöglich in Rühmkorfs zweiter Heine-Strophe:

Ich liebe das gemeine Volk
und halte mich fern von ihm.

Rolf Schneider, Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Bd. 4, Insel Verlag, 1979

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