Róža Domašcyna: Zu Paul Flemings Gedicht „An die Nacht / als Er bey Ihr wachete.“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Paul Flemings Gedicht „An die Nacht / als Er bey Ihr wachete.“ aus dem Band Ich bin ein schwaches Both ans große Schiff gehangen. –

 

 

 

 

PAUL FLEMING

An die Nacht / als Er bey Ihr wachete.

Wie aber eilst du so / du meiner Schmertzen Rast?
Deucht michs doch / daß ich kaum auff eine Viertel Stunde
allhier gesessen bin bey diesem Rosenmunde /
der meinen machet blaß: so merck ich / daß du fast
dich an die helffte schon von uns entzogen hast.
Kehr ümm / und halte Fuß. Und gieb uns Zeit zum Bunde /
den wir hier richten auff von gantzem Hertzen grunde.
Kehr ümm / und sey bey uns ein nicht so kurtzer Gast.
Dein Sohn der sanffte Schlaffi schleicht durch das stille Hauß /
und streut die leise Saat der Träume häuffig aus /
darmit du länger kanst bey unsrer Lust verweilen.
Verhüll uns in ein Tuch / bis daß das dunkle Liecht
des halben Morgens dir durch deine Kleider bricht /
denn ist es Zeit / daß wir mit dir von hinnen eilen.

 

Über das Verweilen

Der Dichter lebt in seiner Zeit. Ihr Duktus, ihre Reime, in diesem Fall Jamben im Sonett, und ihre Ungereimtheiten beeinflussen seine Rede. Ihr Vokabular ist sein Vokabular. Aber darüber möchte ich nicht reden. Ich möchte auf das Gesagte eingehen.
Was ist gesagt: ein Paar wünscht, die Liebesnacht möge nie aufhören. So spricht der Liebende die Nacht direkt an, spricht mit ihr, wie mit einer Beschützerin, einer Frau. Einer, die ihm zu einer, zu dieser ,Rast‘ verhilft.
Fünf Sätze. Doch was sagt er?
Die Frau an seiner Seite schläft oder ruht. Er aber hat das Bedürfnis sich mitzuteilen, in Gedanken, in Versen. Zu danken der Nacht, die diese Zweisamkeit ermöglicht. Er weiß, ohne die Dunkelheit der Nacht wäre das Beisammensein unmöglich. Wenn der Morgen graut, setzt das Verschweigen ein und hat den ganzen übrigen Tag anzuhalten.
Nur nachts kann er es sich erlauben, beredt zu sein: zur Liebsten und zur Nacht. Ohne Nacht kein Einssein, also nur Trennungsschmerz, nur Alleinsein.
Die Zweisamkeit funktioniert ausschließlich als ,ménage à trois‘ und erinnert mich an ein altes Lied, das meine Großmutter gern gesungen hat: ein Mann liebt zwei Schwestern, mit der jüngeren teilt er das Lager, während die ältere daneben steht und nach dem Rechten sieht. Wie er bei der Geliebten wacht, soll die Nacht darüber wachen, dass alles so bleibt, wie es im Augenblick ist. Doch die Nacht ist zu kurz. Jede Nacht ist zu kurz. ,Eine Viertelstunde‘ scheint ihm, wäre er erst mit der Liebsten beisammen, dabei ist die halbe Nacht schon um. Auch wenn die zwei sich zum Liebesbund erstmals gefunden haben sollten, die geistige Verbindung, die den Tag nicht scheut, erstmals durch die Nähe ihrer Körper bestätigten. Die Zeit ,des Bundes‘ ist schon halb verflogen. Sie ,hält nicht Fuß‘. Die Nacht bleibt nicht bei Fuß.
Es ist das Bitten um ein Anhalten der Zeit. Fleming weiß nur allzu gut, dass ,Die Zeit ist, was ihr seid, und ihr seid, was die Zeit, nur dass ihr wen’ger noch, als was die Zeit ist, seid.‘, wie er es in seinem Gedicht ,Gedanken über der Zeit‘ formuliert.
Eile ist also geboten. Die Nacht soll andauern, wie die körperliche Nähe ewig sein soll, die Lust und das Verlangen. Der Dichter weiß um das Ermüden, das Ermatten, das Vergessen, den Verfall, die Unzulänglichkeit des menschlichen Körpers. Weiß um den ,Sohn‘ der Nacht, den Schlaf. Weiß um den Traum, wo alles zur Perfektion geraten kann. ,Leise‘ und ohne Körperlichkeit. Nur als Gedankengebilde im Shakespeareschen Sinn, damit sein Mund danach ,nicht, entweihend, frohe Kunde / Vom altem Glück und alter Freundschaft gibt.‘
Dem Dichter geht es also um Fassbares, somit um Verkörperung, denn auch die Körper haben sich ja gefunden.
Er wacht in der Nacht. IN der Nacht. Längere Lustdauer will er. Nähe, gehüllt in das Tuch der Finsternis, damit sich die Liebenden unverstellt geben können. SICH geben können. Dem Anderen, sich selbst. Und das, bis der ,halbe Morgen‘ durch die Kleider der Liebsten bricht, er die Konturen ihres Körpers nunmehr erkennt, wie sie die seinen.
Erkennen bedeutet auch, Unzulänglichkeiten wahrnehmen, an denen man sich reibt, die einen auseinander treiben können.
Dann wird es Zeit, zu gehen. Wie die Nacht geht. Mit ihr gehen. ,Wir‘ eilen mit ihr ,von hinnen‘. Erst das Sichtbarwerden des Körpers am Morgen, des Verfalls, bringt das Entfremden. Deshalb ist die Nacht in diesem Bunde so wichtig.
Schon sieht der Liebende den ,Rosenmund‘ neben sich rot geküsst, fiebrig. Das macht ihn erblassen. Erblassen, da er merkt, dass die Liebste, die Nacht, halb nicht mehr unter den Hiesigen weilt. Alles Flehen um die Zeit zum Bunde, der ehrlich errichtet ist, nützt nichts. Die Nacht, wie die Liebste, ist ein ,kurzer Gast‘ in ihrem eigenen und in seinem Leben. Ihr Sohn, der werden sollte und in seinem ,Schlaf‘ blieb, ist in dem nächtlich stillen Haus, das nun zum Haus der Trauer wird, fast körperlich vorhanden. Und dieses Annähernde bietet Anlass für Träumereien: eine Geburt, ein Dasein nach dem Ableben als Verkörperung der Lust und Grundlage für diese. Die Sterbende soll einhüllen und Hülle sein. Im Tuch, im Dunklen, werden die Konturen verborgen. Jedes Körpers. Dieser, ob jung, ob alt, ist bald nicht mehr auszumachen. In ein Leinentuch gehüllt ist er in einer messbaren Zeit ,von hinnen‘. Diese Aussteuer bietet die Nacht den Liebenden. Noch hält sie das Liebeslager getarnt. Sie ist die einzige Konstante, auf die Verlaß ist. Die Adressatin dieses Gedichts.

Róža Domašcyna, aus Ich bin ein schwaches Both ans große Schiff gehangen. Die Lebensreise des Paul Fleming in seinen schönsten Gedichten. Herausgegeben von Richard Pietraß unter Mitarbeit von Peter Gosse, Projekte-Verlag Cornelius, 2009

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