Rudolf Bussmann: Zu Róža Domašcynas Gedicht „Er legte sich zu mir“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

− Zu Róža Domašcynas Gedicht „Er legte sich zu mir“ aus dem Lyrikband Róža Domašcyna : Stimmfaden. −

 

 

 

 

RÓŽA DOMAŠCYNA

Er legte sich zu mir

am rande des marktes legte er sich zu mir
ich sagte habnichts so binnichts
er sagte trink den wein den man dir nachträgt
ich sagte wärm dich bei Vielhabens auf
doch er legte sich zu mir
denn ich besitze ein wort ohne ort
ein gedicht ohne gericht
eine schelle ohne elle
und ein schloss ohne schlüssel
dahin führt ein weg ohne steg
der ist unten gemauert und oben gemalt

er legte er sich zu mir
legte sich doch zu mir.

 

Wochengedicht #61: Róža Domašcyna

Es kommt als federleichte Liebesstrophe daher, dieses Gedicht mit seinen volksliedhaften Wendungen, seinen Alliterationen, Binnenreimen und Wiederholungen. Man kann es der Vagantendichtung zurechnen, wobei es für einmal eine Vagantin ist, die hier spricht oder singt, eine, die nichts besitzt und den Liebhaber auch gleich auf diesen Makel hinweist. Der Liebhaber lässt sich nicht beirren, er sagt nur einen Satz, der ganz in ihrem Sinn ist: nimm, was sich dir anbietet, packe die Gelegenheit beim Schopf.
Wer er ist, bleibt im Dunkeln, er wird nicht, wie es in Liebesgedichten gern der Fall ist, in all den Vorzügen gepriesen, die ihn liebeswert machen und vor allen anderen Liebhabern auszeichnen. Auch setzt, nachdem sich die Umworbene angemessen geziert hat, kein tändelnder Liebesdialog ein. Vielmehr hebt die Frau an, über sechs Zeilen hinweg ihr eigenes Lob zu singen, das Lob einer Stadt- oder Landstreicherin, die nirgends zu Hause ist, jedoch über Geheimnisse verfügt, die sie begehrenswert machen. Vor allem die Kraft der Poesie ist ihr eigen, die Macht der Verführung durch das Wort. Ihr Reichtum besteht aus lauter nichtmateriellen Werten. Dass der Liebhaber diese erkennt und schätzt, zeichnet ihn nun doch vor allen andern Männern aus, das Lob gilt einem, der sich durch äusserliche Mittellosigkeit in seiner Liebe nicht beirren lässt.

Das Klingeln der Sehnsucht
Doch so edel mögen seine Motive auch wieder nicht sein. „wärm dich bei Vielhabens auf“, rät sie ihm, was darauf schliessen lässt, dass auch er nicht viel besitzt und sich an sie heranmacht, um billig an sein Vergnügen zu kommen. Gilt ihr selbstbewusstes Herausstellen der eigenen Qualitäten einem andern Randständigen?
Die entsprechenden Verse gleichen in ihrer klingelnden Rhetorik schon fast dem Werben einer Marktschreierin. Auch die mehrfache Wiederholung von „er legte sich zu mir“ respektive „doch er legte sich zu mir“ deutet darauf hin, dass weniger eine bestimmte Erinnerung als eine unerfüllte Sehnsucht die Grundmelodie des Liedes bilden. Dazu passt, dass in der allerletzten Zeile das „doch“ an eine andere Stelle gerutscht ist, wodurch der Satz einen doppelten Sinn bekommt.
Zunächst wird man ihn so verstehen, dass der Geliebte sich dennoch, trotz der äusserlichen Armut, zu der Sängerin legte. Doch in ihm schwingt auch die zweifelnde Frage mit: Er legte sich doch zu mir? Das Fragezeichen fehlt, aber es fehlen alle Satzzeichen im Text. Der Vorgang, den das Lied preist, scheint nicht verbürgt zu sein, wie der muntere Ton vorgibt, viel eher singt sich hier eine ihre Einsamkeit vom Leib. Das Augenzwinkernde passt zu dieser schlauen Bardin, die, wenn sich schon kein Liebhaber zu ihr legen mag, doch so zu locken versteht, dass man sich dem Reiz ihres Liedes nicht zu entziehen vermag.

Rudolf Bussmann, TagesWoche, 10.6.2013

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