Sabine Peters: Zu Gerhard Falkners Gedicht „Das Tote Meer“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Gerhard Falkners Gedicht „Das Tote Meer“ aus dem Band Gerhard Falkner: Hölderlin Reparatur. –

 

 

 

 

GERHARD FALKNER

Das Tote Meer

ich sage, so sagt man, nichts, das (du)
nicht, so sagt man, schon (besser) gesagt
auch das, was ich nie gesagt habe, sagt man,
hättest du ebenfalls schon besser gesagt

ich habe gehört, dass du sagst, du hättest
gehört, ich hätte gesagt, dass das stimmt
aber ich habe gesagt, als ich gehört hatte,
dass du, was ich nicht gesagt habe, schon

besser gesagt hast, nur gesagt;
das stimmt ganz bestimmt nicht.

 

Unterstellungen, Entstellungen:

Gerhard Falkners Zweifel an der Sprache und am Sprechen

– Am Beispiel des Gedichts „Das Tote Meer“. –

„Totes Meer“, das ist jenseits des lokalisierbaren Orts im Grunde ein unheimlicher Begriff. Denn ein ausgetrocknetes, erstarrtes, lebloses Meer widerspricht all dem, was wir gemeinhin darunter verstehen: Das Meer gilt als Symbol der Unendlichkeit, als Sinnbild unerschöpflicher Lebenskraft. Gerhard Falkners Gedicht vom toten Meer, das 2008 im Band Hölderlin-Reparatur erschien, hat nichts mit dem abflusslosen Salzsee in Nahost zu tun. Der Bezugspunkt hier ist nicht die Welt, sondern das Denken und die Sprache. Die sprachkritische Tradition, in der Falkner steht, betont, dass unser Sprechen unvermeidlich Deuten meint. Das Deuten aber zielt auf Bedeutung, es schafft also selbst noch einmal, was es sucht. Falkner thematisiert hier die zerstörerischen Seiten dieses Vorgangs. „Das Tote Meer“ ist in diesem Fall ausgespannt zwischen dem ersten und dem letzten Wort: „ich“ „nicht“. Auch hier klingt ein Widerspruch an. Wenn man den ersten Begriff „ich“ selbstbewusst, positiv setzt, muss sich im Verlauf des Gedichts wohl einiges getan haben, so dass es mit dem abweisenden „nicht“ schließt. Falkner inszeniert hier eine verwickelte Negation; sie kommt daher in einer kunstvoll geschachtelten, zwischen verschiedenen Tempi und zwischen Indikativ und Konjunktiv wechselnden Sprache. Sie gaukelt vor, hier ginge es ums Herstellen von Sinn und Logik. Das Gegenteil ist der Fall. Das Gedicht als ein unnahbares Gebilde, in sich selbst verbissen, wortarm; der Tonfall ist so trocken, dass es staubt. Man hat nicht den Eindruck, dass das Ich tatsächlich ein leibhaftiges „du“ anredet. Eher wirkt es so, als werde hier vor sich hin gesprochen; ein Monolog, der in sich selbst kreist. Hier gibt es kein direktes, unverstelltes Sprechen auf Augenhöhe – alles ist bloß Hypothese, waberndes Hörensagen, böswillige Unterstellung. Das unpersönliche, gesichtslose „man“, das hier Behauptungen in die Welt setzt beziehungsweise dessen Aussagen das Ich vor sich herschiebt wie einen Panzer, dieses „man“ ist das Gegenteil einer Vermittlungsinstanz zwischen zwei Personen, vielmehr kappt es deren Verbindung endgültig. Das unentwirrbare Knäuel gegenseitiger und allgemeiner Unterstellungen ent-stellt das Ich wie auch das Du, es macht sie unkenntlich. Falkners serielles Gedicht ist bewusst so angelegt, dass der Leser seine Mühe hat, auch nur annähernd aufzudröseln, was für ein Konflikt da eigentlich besteht. In der ersten Strophe findet eine abstrakte Allgemeinheit offenbar, dass „du“ „alles“ besser sagen kannst als „ich“, selbst das, was „ich“ nie sagen konnte. Sprachvermögen hier, Spracharmut da. In der zweiten Strophe, noch einmal gebrochen durch das irritierende Hörensagen, gibt es den Anschein eines Einverständnisses: Das Ich hätte früher irgendwann einmal der Diskrepanz zwischen ihm selbst und dem Gegenüber zugestimmt. Es bleibt aber beim irrlichternden, von Zweifeln getragenen Konjunktiv, bei der skeptischen Möglichkeitsform. Und dann folgt prompt der Einspruch, sinngemäß: Du sollst das, was ich nicht gesagt habe, schon besser gesagt haben? Das stimmt nicht. Ende, aus. Wer hier an die Struktur von Paul Watzlawiks Geschichte vom Mann mit dem Hammer denkt, liegt sicher nicht falsch. Falkners Gedicht abstrahiert Widersprüche, die in jeder Beziehung stattfinden. Eine Endlosschleife aus Gerüchten, Gesagtem, nicht Gesagtem, der man nicht entkommt. Es gibt keine Authentizität, nichts Originales, keinen Bezugspunkt, an dem man sich festmachen könnte. „Das tote Meer“ ist die verdichtete, bewusst zynische Darstellung eines Paares, das sich mit immer gleichen Vorwürfen in die Erstarrung treibt. Die Zuspitzung des Gedichts, in dem es eben nicht mehr um irgendeinen inhaltlichen Widerspruch geht, sondern um das Neinsagen an sich, kann Beklemmung auslösen, aber auch Gelächter: Es bringt den blanken Unsinn vieler Streitigkeiten auf eine Formel.

Sabine Peters, aus Text+Kritik. Heft 198. Gerhard Falkner, edition text + kritik, April 2013

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