Sarah Kirsch: Zu C.W. Aigners Gedicht „Die Unsterbliche“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

− Zu C.W. Aigners Gedicht „Die Unsterbliche“ aus dem Gedichtband Sarah Kirsch entdeckt Christoph Wilhlem Aigner. −

 

 

 

 

CHRISTOPH WILHELM AIGNER

Die Unsterbliche

Sie kostet alles unter deinen
Rippen. Dich friert wenn sie den Kopf
herauszwängt die Schnauze blutgeschminkt
dich ansieht mit dem herzzerreißenden
kleinen Tränengesicht des Geparden

 

Blutspuren lesen

Sechs Zeilen, die unter die Rippen gehn. Ich erschrak, als ich diesen Text zum ersten Mal hörte. Nicht als Gedicht ausgewiesen, unmittelbar wie ein neuentdecktes, namenloses Wesen dringt solcher Text über das Ohr in den Körper, zerreißt womöglich das Herz. Wenn er später im Buch steht, ein Gedicht unter vielen, so kann man trachten, aus den Spuren der Unsterblichen lesen. Bei einem Gedicht, das solchermaßen Beunruhigung einträgt, sieht man sich durch seinen Selbsterhaltungstrieb gezwungen, direkt und dilettantisch zu fragen, wen oder was die Unsterbliche verkörpert. Die Liebe? Liebe mit Eifersucht und anderen zerstörerischen Rasereien gepaart? Der Leser, die Leserin durchgehen die knappen Zeilen oftmals, erleben sie am eigenen Leib. Es ist nicht angenehm, einen Schmerz unter den Rippen links seitlich zu spüren. Etwas frißt, bis es entweder gefressen ist, das Raubtier satt oder der lebenden Mahlzeit überdrüssig. Die herausgehobene Schnauze läßt ein geschminktes, blutgeschminktes Wesen erkennen, das ein Gesicht auch wohl hat. Ein geschminktes Gesicht, als weibliches also festgelegt? Am Schluß des Gedichtes wird nur vom Geparden gesprochen, so daß es sich auch um das grammatikalische Geschlecht handeln kann. Die Einstellung im Steppengras zeigt ein Raubtier in aller Unschuld. Wär es ein Bild für die liebe, könnten wir es erkennen, je nachdem wie unsere Erfahrungen mit der Liebe ausfielen. Wie man sie danach einordnet und definiert. Sie überhaupt für möglich und erstrebenswert hält oder die schöne arterhaltende Verwirrung letztlich auf Eigenliebe und Egoismus zurückführt. Das Erbarmen steckt in den Zeilen; liest den Blick des Geparden. Herzzerreißendes Tränengesicht hinter einem Vorhang von Savannengras. So sehe ich das Bild, lese die Worte, die es hergestellt haben. Die dunkle Linie vom Augenwinkel zur Schnauze. Es können Kopplungen wie im Traum ja geschehn, so daß Zeitgefühl aufgehoben erscheint. Wenige Worte, die langanhaltende Tagträume auslösen, ein wahres Kino im Kopp herstellen. Aignersche Texte sind für dergleichen Verzauberungen wie geschaffen, da ihnen sich gerade entfaltende Ereignisse oft innewohnen. In ein paar Zeilen, die wir erfassen, Welt geschieht. Unsterblich also die Liebe? Die so maßlos, gefräßig auch ist, daß sie das Objekt ihrer Begierde vernichtet? Inneres herausreißt aus lebendigem Leib? Wie sich kein Tier verhält. Mancher wollte es lange nicht glauben. An solcher Schlächterei nicht länger teilhaben, seit er dergleichen erlebte, sei es als Opfer, sei es als Täter. Aber der Text geht ja um das Leben. Um Sehnsucht, Enttäuschung und Hoffnung auf dem Planeten der Endlichkeit und der Grenzen. Noch die realen Geparden haben, wenn sie langen Halses sichernd herüberschaun, einen Ausdruck schmerzlicher Schönheit, wie ihn unser Auge bei anderen Säugetieren nicht so leicht wahrnimmt. Als wüßten sie von grausamen Aktionen zur Erhaltung der Art, daß ein Einzelnes nichts bedeutet. Liegt anscheinend ’ne Bitte um Erbarmen in ihren Augen, blickt das Leben herüber: So ist der Planet beschaffen, so ist seine Natur, die Arten, das sind ja einzelne Wesen, entstehen und wieder verschwinden läßt. Es ist ja fraglich, ob der Mensch die leichte Wasserblas bestehen kann. Wenn eines Lebenden Kraft, Schönheit, Gesundheit, sowie er geboren ist, zurück an den Tod fällt? Er schon alt genug ist zu sterben? Eine Verschwendung sondergleichen findet statt, und ist von kostbarer Schönheit begleitet in Tierreich und Pflanzenwelt, daß wir im Lauf des Geschehens, dieser Geschichte, Ästheten wurden. Das TV zeigt uns nicht nur ab und zu die Gepardin, es zeigt uns die Lebewesen genauer, als es vorher in Tiergärten möglich war, und alles zu einem Zeitpunkt, wo einzelne Arten nur noch in diesem Medium zu finden sind. Kann mich nicht sattsehen an irren Farben, Bergpapageien, gestreifte Lemuren, sehe den Andenvogel mit langen gebogenen Federn königlich fliegen. Die Schönheit ist den Ausgeburten menschlichen Gehirns vergleichbar, sei es die zaubrischste Maurische Trauermusik oder ein Tarnkappenbomber, beide sind seiner Natur zuzurechnen. Die eine ist der Preis für die andere noch. Mir steht nicht zu, zu verfluchen, zu preisen. Seh’ den Geparden fressen oder gefressen werden. Die unbedenkliche Verschwendung einzelner, eine Art für eine Weile aufsteigen zu lassen, auf Kosten einer anderen, bis ihr Stern den Zenit wieder verläßt Die Unsterbliche wie ein Raubtier das Leben. Liebt man es deshalb über die Maße, mit dem Schmerz unter den Rippen? Bei Aigner gibt es ein Gedicht, das „Die Sehnsucht“ heißt. Es beginnt so:

Ein Bussard unter meinen Rippen
der hinpfeift auf der blanken Fläche
zwischen glasierten Wolken überm
gefrorenen Feld

Da klopft also das Herz. Sehnsucht steckt dort, wo die Unsterbliche wie ein Gepard die Zähne hineinschlägt. Wie in des Prometheus’ Leber der Adler den Schnabel. Das Innere des Dichters die Landschaft. Doch aufgebrochen wie ein Wild der wirkliche Leib.

Da brach ich auf
in der Mitte erschien
eine Schonung unter
tiefen sirrenden Wolken
wo Lichtbrände übers Gras
geblasen wurden

heißt es im Text „Aufbrechen“. Und es ist eben nicht nur das Aufbrechen im Sinn von sich auf den Weg machen zu verstehn. Die dritte Möglichkeit einer Deutung des Gedichts von der Unsterblichen, wenn es denn nicht überhaupt alles gleichzeitig ist, wäre die Dichtung erblicken. In der es um ALLES gehen muß. Der Hervorbringer sich auf Leben und Tod ihr hingeben muß. Ein paar Biografien bestärken, diesen Blick beizubehalten: auf die einzige wahrhaftige Kunst.

Sarah Kirsch

Die Texte wurden entnommen aus: Sarah Kirsch entdeckt Christoph Wilhelm Aigner, Europa Verlag, 2001

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