Ulf Stolterfoht: Zu Gunter Falks Gedicht „Alle Rübe“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Gunter Falks Gedicht „Alle Rübe“.

 

 

 

 

GUNTER FALK

Alle Rübe
(der Text ist ein Geschenk von W. Bauer)

Dort liegen drei Rüben. Schau. Dort liegen drei Rüben.
Die eine Rübe heißt Falk [Bauer]. Rechts um. Wir gehen ins
Rübenkino. Was spielt man im Rübenkino? Einen Rübenfilm.
Mit Rübenschauspielern und Rübenstarlets. Die Damen im
Rübenbikini und die Herren in der bekannten Rübenbadehose.
Falks [Bauers] Rübenfilme kommen immer mehr in Rübe.
Dort liegen drei Rüben. Schau. Liegen dort nicht drei Rüben?
Und wo?
Mitten auf dem Rübenasphalt liegen drei Rübenzettel. Was steht
auf diesen sogenannten Rübenzetteln? Nichts.
Hüben und Rüben.
Hallo. Hier Rübe.Wer dort?

 

Hier immer noch wir.

Und was lesen wir da, auf der Wikipedia-Seite zu Gunter Falk (1942–1983)? Wir lesen:

Neben seiner Tätigkeit als Wissenschaftler war Gunter Falk literarisch aktiv. Er gehörte zu den führenden Mitgliedern der avantgardistischen Grazer Gruppe. Seinen Lebensstil kann man als auffallend bezeichnen.

Auch das Gedicht „Alle Rübe“ kann man als auffallend bezeichnen. Auffallend anders und auffallend gut. Mir kommt es so vor, als hätten wir mit Falks Rüben ein Gegenstück (oder besser: Negativ) zu Reinhard Priessnitz’ Zitronen. Wo nämlich die Zitronen bei Priessnitz nur im Titel auftauchen und ansonsten bestenfalls umkreist werden, wird dem seltsamen Midas Gunter Falk nicht alles, aber doch vieles Rübe, was er berührt. Priessnitz kürzt durch Zitronen, Falk erweitert mit Rüben. Nur konsistent im Sinne eines modalen Realismus, also der Vorstellung einer möglichen Welt, in der es statt Kinos eben Rübenkinos gibt und statt Filmen Rübenfilme, ist das natürlich nicht. Was zum Beispiel ist ein Rübenbikini: ein Bikini aus Rüben oder für Rüben? Oder beides? Oder heißt er nur so? Und was soll dann, um Gottes Willen, „heißen“ heißen? Und was „nur so“? Aber es ist ja noch verzwickter! Was mich nämlich an diesem Gedicht schon immer irritiert und am meisten begeistert: Warum steht auf den drei Rübenzetteln, auf diesen „sogenannten“ Rübenzetteln, nicht „Rübe“ oder meinetwegen „Leibniz“, sondern vielmehr „Nichts“? Und: Steht da wirklich nichts geschrieben oder doch eher N-I-C-H-T-S? Was zuerst wie eine sehr simple Spielanordnung in der Art der Schlumpfsprache aussieht (also etwa: ersetze jedes Nomen durch oder erweitere es mit Rübe), wird so nur einmal praktiziert, und zwar in der Wendung: „Rübenfilme kommen immer mehr in Rübe“, mit dem Mode/Rübe-Tausch – in allen anderen Fällen bleibt der Bauplan, bleibt die Rübe dunkel. Und einmal mehr ist es Diedrich Diederichsen, der Licht in die Sache bringt. Im Abschnitt „Stimme und Text“ schreibt er über die Lyrics des Songs „Surfin’ Bird“ von den Trashmen:

Dieser Text besteht fast ausschließlich aus onomatopoetischen Lauten, unterbrochen lediglich durch den Satz: „Don’t you know about the word? Everybody knows, the bird is the word.“ Er macht sich damit gewissermaßen zum Metatext des präzisen Unverständlichkeits- oder Stimm-Effekts, er erklärt (wenn auch in erratischer Weise), was man wissen muss, wenn man ein Wort, einen Effekt nicht versteht und doch nicht nur fasziniert ist, sondern erlebt, dass die anderen das sinnlose Blabla des „Surfin’’Bird“ genauso verstehen.
Das Wort als Vogel ist komplett leer und zugleich enorm präzise.
(…) Man muss nur das Geheimnis kennen. Das Geheimnis besteht aber darin, dass alle es kennen: Everybody knows the bird is the word.

Weißt du nun Bescheid über das Wort? Jeder weiß, die Rübe ist das Wort. Und mehr muss niemand wissen. Das reicht. Dicke.
Und wir bewegen uns weiter auf unserem Weg nach unten.

Ulf Stolterfoht, aus Ulf Stolterfoht: Wurlitzer Jukebox Lyric FL – über Musik, Euphorie und schwierige Gedichte, Stiftung Lyrik Kabinett München, 2015

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