Ulrike Almut Sandig: Zunder

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Ulrike Almut Sandig: Zunder

Sandig-Zunder

EMERGENCY 115

am Mittwoch fragst du: wer das jetzt bloß war?
dem lagen die eigenen Adern zu frei
und wollten den Himmel austrinken.
gasklar sein Pulsschlag, Tempo und Teer.
am Donnerstag sagst du: überlebe wir, ja?

 

 

 

Zunder,

ein altes Zündmittel, mit dem Feuer entfacht wird, das Licht nährt, indem es verbrennt. In diesem Motivkomplex stehen die Gedichte, die der vorliegende Band versammelt. Die Materialität einer inneren und äußeren Welt wird seismologisch erfasst und in Bilder übersetzt. Ins Licht gezogen, vom Feuer verzehrt, aber auch von Schatten verdeckt. Sprachgewandt, bildschön und grazil, die Lyrik der jungen Leipziger Autorin, die wie ein Lied beim Lesen durchs Ohr zieht und das Innerste trifft.

Connewitzer Verlagsbuchhandlung Peter Hinke, Klappentext, 2009

 

Tisch, Stuhl und Bett

– Die Lyrikerin Ulrike Almut Sandig im Interview. –

Helwig Brunner: Nicht dass ich ein besonderer Freund der Gedichte Erich Frieds wäre, aber die folgenden Verse haben mich beeindruckt:

Wer von einem Gedicht seine Rettung erwartet,
der sollte lieber lernen, Gedichte zu lesen.
Wer von einem Gedicht keine Rettung erwartet,
der sollte lieber lernen, Gedichte zu lesen

In der Tat mag man ja als LyrikerIn je nach Tagesverfassung dem Gedicht manchmal eine fast unermessliche Strahlkraft zuschreiben, dann wieder, im Blick auf das politische und kriegerische Weltgeschehen und die alltäglichen Verrohungen im Kleinen, an der offensichtlichen Ohnmacht des Gedichts verzweifeln. Was können Gedichte deiner Meinung nach wirklich leisten?

Ulrike Almut Sandig: Alles. Alles, was der Autor oder die Autorin, der Verlag und erst recht die Leserschaft eines Gedichts leisten, kann auch das Gedicht leisten. Also meistens nicht viel. Das Gedicht ist wie wir: nicht besser und nicht schlechter als seine Leserschaft. Nicht verkorkster und nicht kurzsichtiger als seine Verfasser. Und wir retten eben nicht jeden Tag die Welt. Aber Frieds Band und Vietnam und ist für seine Leser Zündstoff gegen den von den USA geführten Vietnamkrieg gewesen. Eine ganze Generation haben diese Gedichte geprägt, und in meiner später geborenen Generation war Erich Fried oft der erste Dichter, den wir außerhalb der Deutschstunden gelesen haben, einfach weil er sich im Bücherregal unserer Eltern befand. Heute wird er nicht zuletzt wegen seiner einseitigen Haltung zum Israelkonflikt belächelt. Trotzdem haben seine Gedichte mehr geschafft als viele von seinen unangreifbareren Kollegen: Sie haben die Haltung einer Generation ausgedrückt. Sie waren einfach und klar. Man konnte sie sich merken und vor sich hinsagen, wenn man sie brauchte. Das ist unglaublich viel. Aber die Gedichte von Mao Tse-tung haben ganz ähnliche Qualitäten, die ungute Folgen nach sich ziehen: Sie halten immer noch dafür her, die Verklärung eines der durchgeknalltesten Diktatoren des letzten Jahrhunderts aufrecht zu halten. Das Gedicht ist nicht besser oder schlechter als die, die es schreiben oder lesen. Es kann alles leisten. Wirklich alles. Leider.

Brunner: Bei Peter Handke heißt es einmal:

Die eigentliche Heimat ist die begeisterte und genaue Sprache.

Als LyrikerIn ist man wahrscheinlich geneigt, dieser Aussage spontan zuzustimmen. Aber im Weiterdenken tauchen dann doch einige Fragen auf. Ist es nicht, bei aller Begeisterung für die Poesie, eine Einschränkung, sein Zuhausesein derart auf die Sprache zu fokussieren? Wäre das nicht ein modernistischer Anachronismus, eine Monomanie, die man nach den Lektionen der Postmoderne hinter sich gelassen haben sollte? Bedeutet es nicht einen höheren Freiheitsgrad, zwar in der Sprache sein zu können, es aber nicht unbedingt und jederzeit zu müssen? Wie sprachbesessen bist du, Almut? Oder anders gefragt: Bist du, als Lyrikerin wie als Mensch, manchmal auch gerne sprachlos?

Sandig: Och, ich bin schon ziemlich sprachbesessen, aber meine Heimat liegt trotzdem woanders. Sprache brauche ich nicht als Heimat, sondern als Transportmittel von mir zu den Anderen und wieder zurück. Sprache ist und bleibt ein Kommunikationsmittel unter vielen, aber es ist vielleicht das, was ich am besten beherrsche. Sprache macht einen weniger einsam. Mich auch. Ich will mich mitteilen. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger. Punkt.

Brunner: Im zeitgenössischen Gedicht, da sind wir uns wohl einig, hat die Natur wieder Platz, von der Wahrnehmung der schieren Schönheiten unserer belebten und unbelebten Umwelt bis hin zur kritischen Betrachtung humanökologischer Systemzusammenhänge. Aus einem Aufsatz Kurt Martis stammt der bedenkenswerte Satz:

Auch im ökologischen Zusammenhang scheint sich demnach die Behauptung zu bewahrheiten: Poesie ist Moral.

Meinst du auch, dass das Gedicht eine moralische Instanz ist? Und kann es, mit seinen spezifisch poetischen Mitteln, zu einem zeitgemäßen, also auch verantwortungsvollen Blick auf Natur und Ökologie beitragen?

Sandig: Klar. Aber bitte nicht mit der Keule. Lessings Sinngedichte, in denen er dem Leser erklärt hat, wie die Welt zu deuten ist und wie nicht, gehen mir unglaublich auf die Nerven. Also Moral: ja gern. Moralkeule: nein. Und Moral hin oder her, das Gedicht ist am stärksten, wenn es überhaupt keine Absicht verfolgt. Wenn ich beim Schreiben eine Absicht verfolge, auch wenn sie wichtig und lobenswert sein mag, dann laufe ich Gefahr, das ganze Gedicht vor lauter guter Absicht in den Sand zu setzen. Wenn ich das Gedicht aber aus dem toten Winkel meiner eigenen Wahrnehmung heraus schreibe, dann kann es plötzlich etwas aussprechen, einfach durch den Platz, den Natur darin einnimmt – als unsichere, fremdartige Fabelwelt zum Beispiel.

Brunner: Von Gottfried Benn, um nach Erich Fried noch einen weiteren kontroversiell diskutierbaren Namen ins Gespräch zu bringen, stammt die interessante Aussage:

Obschon die Wissenschaft als Ganzes Unfug ist, ist sie lehrreich.

Daran möchte ich folgende Frage knüpfen. Wie siehst du die Beziehung zwischen poetischen und anderen, zum Beispiel erzählenden, essayistischen, letztlich auch wissenschaftlichen Denk- und Schreibweisen? Sind das für dich getrennte Paralleluniversen oder können sie einander durchdringen und bereichern?

Sandig: Als ich an meinem ersten Gedichtband Zunder schrieb, haben mich religionswissenschaftliche Klassiker wie Roger Caillois oder Rudolf Otto beschäftigt – das merkt man den Gedichten an. Und genau das ist mein Problem, wenn ich sie wieder lese. Wenn ich heute Gedichte schreibe, versuche ich Wissenschaftliches draußen zu lassen. Ich mag Gedichte, die mit einfachem Vokabular arbeiten – Tisch, Stuhl, Bett. Dinge, die sich leicht benennen lassen. Ich bringe sie gern in Zusammenhänge, die sich nicht so leicht benennen lassen. Diese Sprache trifft mich und macht mir Spaß, und ich gehe von mir aus, weil ich mich selbst beim Schreiben als Zuhörerin habe. Gleichzeitig bin ich aber auch anderen Textarten näher gekommen. Lied und Gebet sind von vornherein eng mit dem Gedicht verknüpft, und ich bin die Letzte, die sie rauswerfen würde. Erzähltes gerät mir immer mehr ins Gedicht, und ich lasse es gern rein.

Brunner: Du bist neuerdings auch als Hörspielautorin tätig. Auch das Gedicht hat – in den meisten Fällen und zweifellos auch im Fall deiner Lyrik – eine sehr wesentliche akustische Dimension. Ist es für dich ein weiter Weg gewesen vom Gedicht zum Hörspiel? Oder ist das Hörspiel für dich eine naheliegende Fortführung dessen, was du ohnehin auch im Gedicht schon tust? Haben auch praktische Überlegungen eine Rolle gespielt, etwa in dem Sinn, dass du dir mit dem Hörspiel ein breitenwirksameres Medium erschließen wolltest, als das Gedicht es ist?

Sandig: Lieber Helwig, so wahnsinnig viele Hörspielenthusiasten gibt es gar nicht, jedenfalls kenne ich nicht so viele. Aber das Schreiben für den Hörfunk wird natürlich besser bezahlt als das Schreiben von Gedichten – Nein, ich hatte einfach Lust drauf und habe die Gelegenheit, dass mich jemand eins schreiben lassen wollte, beim Kragen gepackt. Es war phänomenal, gar nicht zu wissen, was beim szenischen Schreiben eigentlich alles schiefgehen kann. Dabei habe ich mir auch keine Gedanken gemacht, ob ich gerade das Gedichteschreiben mitnehme oder davon weggehe. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, eine Geschichte zu erzählen, und dafür habe ich Mittel verwendet, die mich nicht total überfordern würden: Pausen, sprechrhythmische Sachen oder akustische Symbole etwa; also Mittel, die vom Gedicht nur einen Katzensprung entfernt sind. Dass ich aber am Ende eine Geschichte erzählt habe, macht für mich einen großen Unterschied zum Gedicht. Jetzt schreibe ich am zweiten Hörspiel. Nur ist es jetzt schwerer, weil ich nicht mehr so ahnungslos bin und weiß, was alles daneben gehen kann.

Ostragehege, Heft 54, 2009

 

 

 

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Ulrike Almut Sandig – Ein Porträt.

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